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Geschrieben von AliceBrownful am 18.06.2020, 22:56 Uhr

Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Vor ein paar Wochen gab es im Corona-Forum mal ein Diskussion, in der es um die Rolle der Frau in der aktuellen Krise ging, warum Frauen keine Karriere machen, etc. Diese Woche haben wir in einem Seminar in der Uni folgenden Text gelesen und besprochen: http://www.bzw-weiterdenken.de/2015/11/aufstand-aus-der-kueche-und-auch-aus-dem-schlafzimmer/
Er ist natürlich politisch links gefärbt, ich fand es aber total spannend, dass er einen historischen Abriss über die Entstehung der „Hausfrau“ und ihre Notwendigkeit für das kapitalistische System gibt.
Er ist leicht verständlich und es hat Spaß gemacht ihn zu lesen und zu besprechen. Vielleicht hat hier ja noch jemand seine Freude damit. Aktuell ist Feminismus ja immer...

 
9 Antworten:

Re: Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Antwort von Korya am 19.06.2020, 2:26 Uhr

Danke fürs Teilen, und ja - macht Spaß, ihn zu lesen. Die Zusammenfassung ist treffen und erschließt sich gut, so macht das Lesen und Diskutieren Freude :-)

Einige der historischen Auslegungen von Federici finde ich dabei allerdings etwas weit her geholt. Dazu gehört etwa die Reduzierung von "privat" nicht auf "privus" (individuell, des Einzelnen gehörig), sondern auf "privare" (im modernen Italienischen negativ belegt im Sinne von "der Allgemeinheit etwas entziehen", aber ursprünglich wertfrei als Unterscheidung zum Gemeingut).
Oder die Erklärung, dass der "Gebärstreik", wie sie die Einführung der Pille nennt, tatsächlich als bewusste Auflehnung der Frauen gegen eine kapitalistische männliche Ausbeutung verstanden werden könne.

Sowohl Mann als auch Frau wollen Sex. Aber dabei wollen BEIDE nicht unbedingt pausenlos neue Kinder. In dem Wunsch nach risikofreien Sex sehe ich eher individuelle Befriedigung, und weniger Programm der Befreiuung oder Auflehnung im marxistischen Sinne. Dass der Mensch Babies bekommen kann, liegt nun einmal schlicht an der Biologie, und nicht an einem heimlichen Plan der herrschenden Klasse, die sich noch mehr Sklaven und Arbeiter heran ziehen möchte.

Ich halte es eher mit Mika Bascha: dass die Frauen sich irgendwo auch ganz gerne in ihre Rolle fügen. Ich sehe keinen Kampf, kein Aufbegehren, wie Federici es gerne hätte. Vielleicht ist auch diese Rollenfügung und freiwillige "Unterwerfung" biologisch, und nicht kapitalistische Notwendigkeit? Schließlich gibt es weltweit ein sich wiederholendes Muster, und rein von Frauen geführte Sozialgefüge sind global gesehen eher selten. Woimmer eine Gesellschaft beginnt, ihre Arbeit in strukturierte Formen zu gießen, kristalliert sich regelmäßig eine Trennung von Arbeit außer Haus (Mann) und im Haus (Frau) heraus. Das Schema wird manchmal unterbrochen (die Pest, die Federici interessanterweise als einer der Wendepunkte der Trennung sieht, hat mehrfach das Gegenteil bewirkt: in Ermangelung an Männern hielten in den Nachwehen der großen Pestwellen Europas auf einmal Frauen männliche Rollen innerhalb der Städte inne, aber auch auf dem Land, wenn der Gutsherr verstarb. Ähnliches geschah immer wieder nach schweren Kriegen, wenn es nicht genug Männer gab, um alle Aufgaben zu übernehmen. Aber die Verhältnisse schütteln sich jedes Mal wieder schnell in die ursprüngliche Trennung zurecht. Selbst heute, in der durch Pille & Co die Frau eben nicht mehr nur Gebärmaschine ist, die ihre Teilhabe verhindert, bleibt die Aufteilung im großen und ganzen ähnlich.

Und wenn man sich als Gegenstück Länder anschaut, in denen sich Männer bereits maßgeblich auch im Haushalt betätigen, kommt auch dort kein lauter Ruf danach auf, diese Arbeit zu entlohnen. Es scheinen also auch Männer, die den Haushalt machen, diesen nicht für entlohnenswert (sagt man das so?) zu halten.

Ein Lohnverhältnis entsteht historisch immer dort, wo jemand die Arbeit nicht freiwillig tun würde, wo aber derjenige, der das Arbeitspaket bearbeitet sehen möchte, etwas hat, dass der andere begehrt. Wenn ich in der steinzeitlichen Gesellschaft sesshaft werde und Zeit habe, Kunst zu schaffen, tue ich dies zu Lasten anderer, die stattdessen meine gesellschaftlichen Aufgaben (Essensbeschaffung etc) für mich mit erledigen. Das tun die aber nur, wenn etwas für sie abfällt - etwa, wenn meine Höhlenmalerei magische Fähigkeiten hat, die die nächste Jagd erfolgreicher machen, oder wenn die Tonvase, die ich herstelle, ganz besonders hübsche Kammuster hat, die dem Besitzer schmeicheln.

In der herkömmlichen Aufgabenteilung im Haushalt - Federicis Bild: Mann verdient, Frauchen steht als völlig von ihm abhängiges, geknechtetes Wesen in der Küche - bestünde natürlich theoretisch die Möglichkeit, die Vergütung der Arbeit zu erzwingen. Aber anders als in der Felshöhle, in der Schönheit und Kunst um ihrer selbst willen geschaffen wird, also nicht direkt mit dem Überleben des Stammes verknüpft ist, ist die Arbeit im Haushalt notwendig. Wenn das Haus nicht reinlich, das Essen nicht gekocht wird, kann die Familie nicht funktionieren. Es ist kein "nice-to-have", auf das man verzichten könnte. Das ist der Unterschied zu den Arbeitspaketen in der Fabrik, die mir persönlich erst einmal nichts bringen - weshalb der kapitalistische Herrscher Anreize wie Lohn schaffen muss, um mich dazu zu bringen, die Arbeit zu leisten.

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Re: Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Antwort von Hase67 am 19.06.2020, 8:31 Uhr

Danke für die Erwähnung von Mika Bascha, die ich noch nicht kannte. Ich beschäftige mich nämlich schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, warum so wenige Frauen (angefangen mit meiner Mutter, die auf dem Papier und in Gedanken Feministin war, in der Praxis aber nicht, aber auch, was meine eigenen Inkonsequenz angeht) nicht viel massiver aufbegehren, sondern letztendlich konfliktscheu agieren statt kämpferisch. Ich meine zu beobachten, dass sich das langsam (sehr langsam) ändert, aber eigentlich auch nur in einem sehr kleinen Kreis junger, gebildeter, global orientierter Frauen.

Ich kannte einige der Argumente von Federici in Zusammenhang mit der Recherche für das feministische Magazin, das ich regelmäßig übersetzt habe (momentan steht die Produktion corona-bedingt). Letztendlich läuft es aber auf eine grundsätzliche Kapitalismuskritik und darauf hinaus, dass Kapitalismus ein männerdominiertes Machtsystem sei. Das wiederum ist sicherlich teilweise historisch so gewachsen, aber auch andere Gesellschaftssysteme sind männer- und machtdominiert, männliche Sexualität wurde auch schon immer (in allen möglichen Gesellschaftssystemen) genutzt, um Macht und Besitzansprüche geltend zu machen. Das ist also nichts exklusiv Kapitalistisches und auch nicht nur durch ein wachstums- und profitorientiertes System zu erklären, es hat meines Erachtens grundsätzlicher damit zu tun, wie Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern definitiert sind. Und ob man sie überhaupt braucht, also ob das eine biologische oder gesellschaftliche Notwendigkeit ist.

Eine Zeitlang habe ich mich auch mit matrifokalen Thesen befasst, die Gesellschaftsformen untersuchen, in denen sexuelle Gewalt kein Thema ist, weil die Frau und Mutter die Keimzelle der Gesellschaft ist und dabei von ihren Brüdern unterstützt wird, sodass die geschlechtliche Liebe von der kleinsten Untereinheit des Gesellschaftssystems abgekoppelt ist - die Frauen haben darin eine absolut selbstbestimmte Sexualität und ein entsprechend entspanntes Verhältnis zum männlichen Geschlechtsorgan, das ist in vielen Gesellschaften auf der Welt ja anders, wo das männliche Geschlechtsorgan einerseits kultisch verehrt und andererseits gefürchtet und als Bedrohung gesehen wird.

Andererseits habe ich aber auch, so interessant und diskutierenswert ich solche grundlegenden feministischen und soziologischen Denkansätze auch finde, immer wieder das Problem, dass sie sehr theorielastig sind, oftmals historische und gesellschaftliche Zusammenhänge sehr stark verkürzt darstellen, sich einzelne Aspekte herausgreifen, die gut in die eigene (oft politisch oder durch das eigene soziologische Umfeld oder die persönliche Brille geprägte) Matrize passen. Und dabei ganz viel Differenziertheit hintenrunter fällt. Oft bewegen sich diese Argumentationen (und auch die Leute, die sie vertreten) so stark nur in ihren eigenen Kreisen, dass man sich zwar untereinander in seiner Argumentation bestärkt und befruchtet, letztendlich aber doch sehr wenig von diesen Ansätzen realgesellschaftlich vorstellbar und umsetzbar ist. Und dass man (oder frau, in dem Fall ich), auch als interessierter Zuleser manchmal staunend davorsteht und denkt: Ja, in sich schlüssig, aber was davon kann ich denn für mich mitnehmen? Was ist denn nicht nur Kopfgeburt und zwar als Theorie interessant, sondern auch pragmatisch umsetzbar?

Vielleicht fehlt mir aber auch die Jugendfrische, die Begeisterungsfähigkeit und die kämpferische Mentalität, um mich davon mehr mitreißen zu lassen. Womit wir wieder bei Mika Bascha wären.

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Re: Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Antwort von tonib am 19.06.2020, 9:01 Uhr

Danke für den Hinweis, immer wieder spannend. Ich beschäftige mich ebenfalls schon seit Jahrzehnten - auch sehr praktisch - mit dem Thema und bin der Theorien darüber ein wenig müde geworden. Bascha Mika kenne ich natürlich und stimme ihr im Wesentlichen zu.

Die Frauen, mit denen ich zu tun habe, superausgebildete Topverdienerinnen, wollen ordentliche Kinderbetreuung, eine gute berufliche Förderung und ansonsten mit Theorien in Ruhe gelassen werden. Leider wollen sich viel zu wenige so richtig "dem Kampf stellen", sondern lieber sanft dahin gleiten, was ja völlig ok ist, jede hat ja die Wahl, aber mich im Laufe der Zeit ein wenig ernüchtert hat. Solidarität oder gar gemeinsames politisches Handeln gibt es wenig. Ich verstehe auch warum: sie sind einfach zu müde und haben zu viel auf dem Tisch. Die Härte, die Kinder ihren Männern in den Arm zu drücken, um sich dann abends noch politisch zu betätigen oder soziologische Theorien zu diskutieren, hat keine, die ich kenne. Da gibt es dann eher den Wunsch nach gemeinsamer schöner Zeit (auch bei mir).

Aber ich freue mich immer, wenn sich Leute die Zeit nehmen und darüber mal aus anderer Sicht nachdenken. Sie sollten es bloß nicht zum allgemeinen Maßstab machen.

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Ich habe gerade so gar keine Zeit, will mich aber auf jeden Fall mit euren

Antwort von Leewja am 19.06.2020, 9:05 Uhr

Links und Tips beschäftigen, daher schon mal Danke dafür!

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Re: Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Antwort von pflaumenbaum am 19.06.2020, 12:03 Uhr

Die historische Analyse ist interessant. ich hoffe, Ihr habt den Text im Seminar im Original gelesen? :-)
Ich bin mir aber nicht sicher, ob der angedeutete Vergleich mit den afrikanischen Stammesgesellschaften so stimmt, also ob es Frauen in diesen Gesellschaften wirklich besser ging. Klar gab/gibt es Stämme, die matrilinear organisiert sind. Das Problem ist aber ja, dass unsere Vorstellung eines Individuums in einer Stammesgesellschaft überhaupt nicht verwirklicht werden kann, WEDER für Frauen NOCH für Männer.

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Re: Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Antwort von Rucolaendivie am 19.06.2020, 14:39 Uhr

Sie heißt nicht Mika Bascha, sondern Bascha Mika, laut Wikipedia eigentlich Barbara mit Vornamen. Mir war sie ein Begriff als langjährige Chefredakteurin der taz. Ihre Thesen sind bekannt, ich glaube, sie hat sie auch in Buchform veröffentlicht. In Publikumsdiskussionen war sie oft die Gegenspielerin zu Alice Schwarzer.

Den Artikel finde ich auch interessant!

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Ups, ja - Bascha Miks, ihr habt natürlich recht ^-^

Antwort von Korya am 19.06.2020, 15:52 Uhr

Ist schon eine Weile her, dass ich sie gelesen hab, und in der Erinnerung die Namen vertauscht. Wusste gar nicht, dass sie eigentlich Barbara heißt, wieder was gelernt - und so auch die Reihenfolge von Vor- und Nachnamen wieder drauf, danke!

Ich fand die Lektüre oft überzogen polemisch, aber musste ihr bei vielen Punkten doch immer wieder recht geben.

Mmmh... jetzt habe ich direkt Lust bekommen, ihre Bücher wieder rauszukramen, aber mein Nachttischstapel ist eh schon zu hoch

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Mika, herrje - ich geb's auf und geh ins Bett

Antwort von Korya am 19.06.2020, 15:53 Uhr

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Re: Angelehnt an eine Diskussion von vor ein Paar Wochen...

Antwort von AliceBrownful am 19.06.2020, 20:10 Uhr

Danke für eure Perspektiven, es ist immer bereichernd auch noch andere fundierte Meinungen und Lektüre-Verweise zu bekommen.
Den Original-Text hatten wir bereits im vorhergegangenen Seminar gelesen, im Artikel werden ja noch andere Thesen aus ihren Texten mit eingeflochten. Aber es war nochmal eine gute Erinnerung, dass ich mir die Text-Sammlung auch noch zulegen wollte.
Mir gefällt, dass feministische mit anti-kapitalistischen Thesen verknüpft werden und insgesamt Systemkritik geübt wird.
Welches Buch ich noch wärmstens empfehlen kann ist „King Kong Theorie“ von Virginie Despentes.

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