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Mal eine Frage an die Nicht-Erzieher...

Thema: Mal eine Frage an die Nicht-Erzieher...

Die untenstehende Diskussion, bei der die Definition von Nicht-Erziehung mal wieder aufs Tapet gebracht wurde, nehme ich jetzt mal zum Anlass, eine Frage zu stellen, die mir zu diesem Thema schon lange im Kopf rumgeistert. Ihr schreibt immer wieder, dass das Grundprinzip eurer Lebenseinstellung darin besteht, dass die Freiheit des Kindes da aufhört, wo es sich oder andere gefährdet bzw. die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Grundsätzlich ist das ein hehres Anliegen, das auf die uralte Rabelaissche Doktrin zurückgeht, nach der die Mitglieder in seiner utopischen Abtei Thelema (griech. "Wille") leben: 1. Schade nicht deinem Nächsten. 2. Dies vorausgesetzt, tu was du willst. Aber: Dieses Modell ist eben eine UTOPIE. Ich frage mich ernsthaft, wie das bei euch in der konkreten Praxis aussieht. Ich weiß von mir - obwohl ich meine Kinder als Personen sehr wohl als gleichberechtigt betrachte und mit ihnen auch einen entsprechenden Umgang habe - dass es im Alltag SEHR OFT Situationen gibt, in denen entweder meine Kinder die Grenzen anderer Personen (inklusive meiner eigenen) nicht klar erkennen (z. B. mangels Lebenserfahrung), Außenstehende (Kinder wie Erwachsene) ihre Grenzen entweder nicht oder nur sehr aggressiv oder "hintenrum" zeigen, und dass auch ich selbst in Situationen gerate, in denen ich nicht sofort wahrnehme, dass hier für MICH eine persönliche Grenze erreicht ist und das quasi erst im Nachhinein merke, wenn ich schon sauer geworden bin (und dann auch nicht immer "pädagogisch wertvoll" reagiere). Wie steht ihr zu so was? Gehört ihr trotz eures Nicht-Erziehungs-Prinzips der Fraktion "Eltern müssen immer gleichbleibend geduldig, freundlich, konsequent sein" oder sagt ihr eher: Das Zusammenleben mit meinen Kindern ergibt sich automatisch daraus, wie u. a. ich als Persönlichkeit gestrickt bin, sprich: Sie müssen auch damit leben, wenn ich mal vor Ärger auf den Tisch haue? Oder fällt das dann nach eurer Definition unter "die Grenzen eurer Kinder überschreiten"? Schreibt doch mal, wie ihr euch in solchen Situationen verhaltet... LG Nicole

Mitglied inaktiv - 20.03.2007, 09:13



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Hm, gehöre zwar nicht unbedingt zu den "Nichterziehern", aber das Dir erwähnte Grundprinzip verfolgen wir auch. Das mit der Freiheit der anderen... *g* Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass jeder vernunft- und empathiebegabte erwachsene Mensch seine Grenzen einem Kind gegenüber kommunizieren können sollte. Wenn nicht, bitte daran arbeiten. *gg* Das schließt durchaus ein, dass man auch mal sauer wird. Trotzdem sollte die Reaktion ANGEMESSEN sein. Wer ständig die Nerven verliert und kontrolliert rumbrüllt, hat ein Problem. Selbstverständlich überschreitet man die Grenzen anderer, wenn man so mit ihnen umgeht. Stell Dir vor, Dein Partner scheisst Dich regelmässig zusammen, wär nicht so toll, oder? Beziehungs- und Konfliktfähigkeit ist aber ganz offensichtlich etwas, woran es vielen Erwachsenen mangeln. Was sicher auch damit zu tun hat, dass das in der Familie kein Thema war und man sich einfach nicht die Mühe gemacht hat, es zu vermitteln. Gib doch mal ein konkretes Beispiel.

Mitglied inaktiv - 20.03.2007, 12:35



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Hallo Trinity, erst mal: danke, dass du auf mein Posting geantwortet hast, für die "echten" Nicht-Erzieher war es offenbar nicht interessant genug (???). Schade, aber na ja. Du schreibst, dass jeder vernunft- und empathiebegabte Erwachsene in der Lage sein sollte, seine Grenzen zu kommunizieren. Grundsätzlich halte ich mich persönlich für einen solchen Menschen, aber es gibt auch Situationen, in denen ich anscheinend NICHT so klar bin. Ein Beispiel sind bei uns Situationen, wo ich mich von den Kindern unter Druck gesetzt fühle fühle. Typisch ist z. B., wenn ich beide nachmittags nacheinander abhole (aus Hort und Krabbelgruppe) und sie dann gleich beide Zuwendung einfordern (sind fast 7 und 2). Das geschieht oft sofort ab dem Zeitpunkt, wo wir die Wohnung betreten. Ich sage dann zwar meistens schon prophylaktisch, wenn sie mich beim Hereinkommen "bestürmen" (mit: will trinken, will essen, will fernsehen, Mama mach mal dies, Mama mach mal das), dass wir jetzt erstmal ankommen, uns ausziehen und (evtl.) die Einkäufe verstauen. Oft gibt es aber trotzdem Gequengel, so als ob ich mich nicht deutlich geäußert hätte. Je nachdem, in was für einer Stimmung ich bin (an stressigen Tagen reißt mein Geduldsfaden schneller) werde ich dann schon auch mal laut und sage, sie sollen in ihr Zimmer gehen und mich allein lassen, weil ich mich nicht anquengeln und damit unter Druck setzen lassen will. Das passiert vielleicht so ein-, zwei Mal im Monat. Meine Tochter reagiert darauf manchmal (wenn sie in der Schule ebenfalls Stress hatte) mit Weinen und Schmollen, meinen Sohn tangiert das zumindest oberflächlich betrachtet eher nicht. Wenn ich mich wieder abgeregt habe (und "angekommen" bin), gehe ich dann schon wieder zu den beiden und sage ihnen, warum ich gepoltert habe. Aber ein tolles Gefühl dabei habe ich natürlich nicht, und ich glaube, es hängt bei mir schon auch ein Stück weit damit zusammen, dass da zwei Seelen in meiner Brust kämpfen - einerseits will ich natürlich geduldig und liebevoll mit ihnen sein, besonders, wenn ich sie gerade erst wieder abgeholt habe, andererseits ärgert es mich aber auch, dass ich ihnen (bzw., hauptsächlich meiner Tochter, mein Sohn ist dazu noch zu klein) mein Bedürfnis nicht in einer Weise klar machen kann, dass sie auch adäquat darauf reagieren. In anderen Situationen funktioniert das wiederum sehr gut, da sind beide sehr "verständig", empathisch und einsichtig. Wie handhabst du solche Situationen denn? Oder gibt es die bei euch gar nicht? LG Nicole

Mitglied inaktiv - 21.03.2007, 10:57



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Liebe Nicole, dein Posting war ganz und gar nicht uninteressant. Im Gegenteil...ich zumindest siniere seit gestern darueber und habe mich noch nicht gemeldet, weil ich erstmal meine Gedanken sortieren musste. Aber als Warnung vorab, ich bin im Gegensatz zu dir ein hundsmiserabler Schreiber und tue mich schwer meine Gedanken zu Papier zu bringen. Ich hoffe, es wird einigermassen verstaendlich. Vorab ich bin auch kein echter Nichterzieher,noch nicht. Die Theorie hat mich ueberzeugt (klingt schon wieder so nach Methode, dabei ist es das gar nicht, aber ich weiss nicht, wie ich es anders formulieren soll). Was mir auffaellt, Nicht Erziehung (ein selten daemlicher Ausdruck finde ich ueberigens, aber bisher hat auch in Johannas Liste noch niemand eine bessere Formulierung gefunden)ist vorallem auch Knochenarbeit an mir selbst. Bist du eigentlich erzogen, autoritaer erzogen meine ich? Deine Gefuehlsausbrueche sind mir nicht unbekannt...Bei mir haengt es mit der Kindheit zusammen. Muss aber nicht bei jedem so sein. Ich glaube, dass ich persoenlich das Gespuer fuer meine echten Grenzen etwas verloren habe. Ich weiss oft nicht, ob ich wirklich ein Beduerfnis habe oder nur denke ein Beduerfnis zu haben. Oder muss mein Kind gar "alte Rechnungen begleichen?" Beispiel: Kind (damals gerade 3) schmeisst Brot auf den Boden. Meine Reaktion: Wut. So, bin ich nun wuetend, weil ich wuetend bin oder bin ich wuetend, weil MAN DAS NICHT MACHT und mit essen werfen etwas ganz schlimmes ist? Wenn er da so allmaechtig sein Brot rumschmeisst, weil es baeh ist, was genau macht mich sauer? Oder Kind schreit "geh weg". Verletzt mich das jetzt wirklich oder werde ich da wohlmoeglich an alte Ablehnung erinnert, die schon ganz weit zurueckliegt? Und reagiere ich vielleicht deshalb sehr unangemessen? Oder nimm dein Beispiel. Ist dir gerade wirklich nicht nach Aufmerksamkeit geben oder ist dir vielleicht eine Laus ueber die Leber gelaufen und du hast deshalb einen Hals (passiert mir)? Mir tut es immer gut einen Moment innezuhalten und zu horchen, was ist da jetzt los (klappt leider nicht immer, aber ich arbeite daran). Wenn das klappt versuche ich dem Kind auf Augenhoehe zu begegnen und mit ihm zu sprechen "ok, du willst jetzt Aufmerksamkeit, ich kann das auch verstehen, aber mir geht gerade so viel durch den Kopf oder ich habe mich so ueber xy geaergert, es geht gerade nicht. Gibst du mir 10 Minuten Zeit?". Oder ich bitte Elio auch schon mal um Hilfe (klingt absurd, funktioniert aber). Wir sind am Meer, es ist heiss ich will ihn eincremen und er bruellt: keine Creme! Da hab ich ihm irgendwann gesagt, Elio, was soll ich denn nur machen. Schau dich an, du bist ganz weiss, ich mache mir solche Sorgen, dass du dich verbrennst. Ich kann dich nicht in den Pool lassen ohne Creme. Was machen wir denn jetzt, ich habe Angst um dich? Oh, vielleicht Zufall, aber er liess sich anstandslos eincremen. Meine Sorge war absolut authentisch! Ich habe festgestellt, dass ich zum zweiten Mal in meinem Leben wirklich an mir arbeite und mir und meiner Familie das sehr viel bringt. Wenn dir deine Gefuehlsausbrueche Unbehagen bereiten und du mit deiner Reaktion eigentlich gar nicht zufrieden bist, dann ueberleg, wie du das aendern kannst. Nicht Erzieher sind ueberigens keine Heilige. Selbst Vina schrieb irgendwo, dass sie ihre Kinder manchmal an die Wand klatschen koennte...und die ist ja nun wirklich der Hardliner unter den mir bekannten Nicht Erziehern. Richtig ist, Nicht Erzieher haben viel Phantasie und sagen sich immer wieder, es gibt mehr als eine Loesung. Johanna macht das vorbildlich. Ich glaube sie liesst hier im Moment nicht, schade. Sie haette sicher was dazu gesagt. Stell doch deine Frage mal in ihrer Liste, du wirst bestimmt viele Antworten von "echten" Nicht Erziehern bekommen. Ich selbst habe in der Liste ueber mein Wut Problem geschrieben und dabei erfahren, dass die allermeisten durchaus auch mal wuetend werden, aber nie und nimmer wuerden sie eine Auszeit geben oder gar strafen. LG Christiane

Mitglied inaktiv - 21.03.2007, 11:40



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Auch wenns furchtbar unpädagogisch ist: Stell Dir vor, Du machst ALS ERSTES den Fernseher an und stellst ihnen was zu essen und zu trinken hin. Was glaubst Du, würde passieren? *gg* Ich gebs zu, ich schaffe mir meinen Freiraum, indem ich zuerst das dringenste Bedürfnis befriedige. Wenn das Durst ist, gibts was zu trinken, wenn er knuddeln will, gibts zuerst das, wenn er DVD gucken will, von mir aus gerne. Klar ist das mit einem Kind leichter, weil die Bedürfnisse nicht kollidieren, aber im Extremfall finde ich das "Ruhigstellen" mit Hilfe von Glotze und Snacks durchaus legitim. *g* Die andere Alternative wäre, dass Du Dich klar abgrenzt und sie einfach abprallen lässt: "ICH tue jetzt erst mal dieses oder jenes und GLEICH klären wir alles weitere. IHR könnt aber gerne das machen, wozu IHR Lust habt." Sich selbst (und den Kleinen) mit essen/trinken/fernsehen zu versorgen dürfte ja für eine Siebenjährige kein Problem mehr sein. Du fühlst Dich unter Druck gesetzt, weil Du Dich ZUSTÄNDIG und GEFORDERT fühlst. Davon kannst Du Dich aber frei machen. Entweder, indem Du die Zuständigkeit an Deine Große abgibst und signalisierst, dass Du jetzt mal ein paar Minuten für Dich brauchst: "Mach doch schon mal den Fernseher an und hol euch was zu trinken. Ich bring euch gleich Kekse, wenn ich ausgepackt hab." Oder Du machst das schnell selbst und das hast DANN Ruhe und Zeit für Dich. Auf jeden Fall würde ich nicht von meinem Kind verlangen, dass es warten UND dabei auch noch friedlich sein muß. *g* Also schaffe ich entweder Bedingungen, die den Konflikt schnell auflösen oder ich bitte ihn, sich selbst zu kümmern.

Mitglied inaktiv - 21.03.2007, 15:34