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noch Mal Authentizität und Erziehungsteufelskreis

Thema: noch Mal Authentizität und Erziehungsteufelskreis

Hallo allerseits, folgender Text Mal wieder sehr lang, aber ich denke doch sehr wichtig, was mein Verständnis von NE angeht. Ich sagte ja bereits, dass die Auf-Die-Finger-Hauer-und-Nichts-Dabei-Schlimm-Finder auch "aus dem Bauch heraus" handeln und blah. Von daher – das mit den Gefühlen ist eine unheimlich subjektive Sache. Trotzdem meine ich, dass solche "Gefühle" ("es ist OK Kinder zu hauen" z.B., aber auch: "Es ist OK, zu erziehen") NICHT wirklich authentisch sind. Denn das "authentische Selbst" eines Jeden wäre für mich (für MICH, nicht für alle NEs!) immer eines, das GUT ist und daher die Einschränkung der Freiheit anderer ausschließt, Gleichberechtigung einschließt und diese beiden Sachen schließen Erziehung wiederum aus. Ich glaube, dass uns unsere "wahre" Authentizität eben DURCH Erziehung (das ist eben das schlimmste Übel von Erziehung) aberzogen/umtrainiert wurde. Von Kind auf hörten wir – und wir hören das auch heute noch bei anderen Eltern-Kind-Interaktionen – "Das ist doch nicht schlimm!" – "Nun weine doch nicht, da brauchst du gar nicht traurig sein, selbst schuld" – "Da brauchst du gar nicht wütend sein!" – "Wieso bist du denn so wütend? Das geht so nicht!" – "Wieso bist du denn nicht glücklich darüber? X hat sich gerade so viel Mühe gegeben..." etc etc und immer weiter und immer wieder. Und weiterhin wird Kindern ihre Kompetenz abgesprochen (egal ob wortwörtlich oder als "Message" hinter der Erziehungshaltung): Du kannst das nicht, das verstehst du nicht, dazu bist du noch zu klein – dein Essen kannst du nicht regulieren, dazu bist du nicht kompetent genug, also kontrolliere ICH dein Essen. Für Ordnung kannst du nicht sorgen, also kontrolliere ICH wann du zu ordnen hast. Du kannst nicht entscheiden, wann du schläfst, du bist nicht kompetent genug zu wissen, wann du müde bist, also entscheide ICH wann du ins Bett zu gehen hast. Du kannst deine Zukunft nicht voraussehen, also entscheide ICH was du zu tun hast und überhaupt kontrolliere ich fast dein ganzes Leben, auch deine Freiheit – ich gebe dir nämlich "Freiräume" – damit du irgendwann, nicht unbedingt jetzt, glücklich bist. Eigentlich kannst du fast gar nichts alleine schaffen, du kannst sozusagen nichts. (Überspitzt!) Das Kind aber fühlt *eigentlich* – als noch authentisches Selbst – dass es das eben *doch* alles – in unterschiedlichen Maßen, je nach Alter und Entwicklungsstand, KANN. Es aber immer wieder eingeredet/gezeigt bekommen, dass es NICHT so sei, und zu sehen, dass mit nahezu ALLEN Kindern so umgegangen wird, zerstört sein inneres Gefühlsystem. Es fängt irgendwann an zu zweifeln: "Stimmt es wirklich? Ich kann das wahrscheinlich wirklich nicht... " und irgendwann glaubt es das – und dann geht's wieder von vorne los mit den eigenen Kindern, von denen es glaubt, sie müssten erzogen werden: Das war der Erziehungsteufelskreis. Ergo: Den Kindern werden – von KLEIN auf sogar (schreien lassen, eigenes Bett, nicht tragen, nicht stillen, ihren "Trotz" nicht verstehen...) – ihre Gefühle ABGESPROCHEN bzw. umtrainiert, abtrainiert, z.T. ignoriert etc. DESHALB kommt es dazu, dass derjenige, der seine Kinder schlägt, "nur" auf die Finger haut, oder sie auch "nur" erzieht DENKT bzw. "fühlt", dies sei "aus dem Bauch heraus" und ganz "authentisch", im Grunde ist es aber eher aus "seiner Erziehung heraus" und aus der eher zu bemitleidenden Tatsache, dass der Erwachsene/das Kind sich all das Erlittene in seiner Kindheit hat irgendwie erklären müssen. Um es irgendwie ertragen zu können, dass es fast 20 Jahre lang seiner Freiheit, seiner Gefühle, seiner Kompetenz und seiner Rechte beraubt worden ist. Es muss ja eine Erklärung geben und wenn einem 20 Jahre lang eingeredet ist, man sei quasi selbst schuld, weil inkompetent und Gefühle falsch – dann glaubt man das eben früher oder später. Dann hat Erziehung sich auch voll entfaltet. Sorry! Aber so denke ich – und DAS kann wiederum NUR darauf basieren, dass man überhaupt daran glaubt, dass das noch intakte Baby ein "authentisches Selbst" ist und NICHT "schlecht" ist (Bekky) sondern GUT. Andere Welten- und Menschenbilder einfach! Da ich ja glaube, dass das Geborene "gut" ist, habe ich diese Erklärung, warum es überhaupt erst so "schlecht" wird, dass es sich irgendwann sogar anmaßt, über das Leben eines anderen fast komplett oder auch nur halb zu entscheiden, es zu manipulieren und zu kontrollieren – egal aus welchen noch so sinnigen Gründen wie z.B. aus Liebe! Das dürfte sonst meiner Meinung nach einfach nicht drin sein bei einem guten Menschen. Wenn man denkt, dass alle Menschen von Geburt an "schlecht" sind, macht es wohl eher Sinn, sie zum "guten" (durch Zwang und/oder Manipulation?) zu erziehen. Nur: Wenn Menschen an sich schlecht sind – müssten sie ja, wenn sie nicht erzogen werden, grundsätzlich schlecht bleiben, oder? Warum tun sie das dann nachweislich nicht? Es gibt ja erwachsene nicht erzogene Menschen - und hier bitte NICHT diejenigen verwahrlosten Kinder aus den untersten "Schichten" anführen! Ich meine nichterzogen in Sinne von wie es bisher hier beschrieben wurde. Bekky, du würdest vielleicht sagen, diese Menschen sind ja auch nicht frei von Sünde und/oder Schlechtigkeit. Aber das sind ja die erzogenen "schlechten" Kinder ja auch nicht. Also wozu das Ganze? Wenn es nicht wenigstens einen Fortschritt bringt, die "schlechten" Kinder zu erziehen, ist Erziehung, wie ich schon immer sagte, wenigstens sinnlos, wenn nicht sogar schädlich. Denn wenn die "schlechten" Menschen, die nicht erzogen werden, ja auch nicht schlechtER geworden sind, und es bei Erziehung auch noch massiv viel falsch zu machen gibt, kapier ich nicht, was die Logik hinter der ganzen Kontrolle und Manipulation ist. (Doch ich kapiere es, steht oben beschrieben. Es ist eben ein Teufelskreis). Was ich noch Feelix sagen wollte: Ich finde es nicht gut, dass du gesagt hast, ich hätte das mit der Authentizität "gut gelöst". Das klingt so, als hätte ich mir Mal eben den Kopf darüber zerbrochen, was ich antworten könnte und sei noch Mal irgendwie "davon" gekommen mit einer eben ausgedachten "Lösung". Ich habe mir darüber schon lange Gedankgen gemacht und das kannst du auch in den Archiven der Mailingliste nachlesen. Ich habe mich dort zum Begriff Authentizität durchaus schon geäußert und zwar in gleicher Weise, das ist schon länger her. Nur dass das klar ist ;-P Liebe Grüße euch allen Johanna www.unerzogen.de

Mitglied inaktiv - 24.07.2007, 20:02



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mädels, mädels..... man, man, man!!!ich würde sagen, von allem ein bisschen in einem gesunden mass und wir liegen alle richtig. ich gehöre zu den muddi´s die "erziehung" und "grenzen" setzen für sinnvoll halten, da die kleinen ja schon lernen müssen was man darf und was nicht.ab und zu drehe ich mich aber auch mal grinsend weg und lass sie halt machen um auch ihr selbstbewusstsein und selbstwertgefühl zu stärken ;o). wenn sie aber das 3x den spinat samt kartoffen auf den boden wirft und dabei grinst und das seid 2 monaten, (sie ist 16 monate) ist das essen oder was auch immer weg!!!feierabend.das aber auch immer so extreme aufeinander treffen müssen....tse, tse, tse!!! LG

Mitglied inaktiv - 24.07.2007, 23:57



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Hallo, wenn DU es blöd findest, dass Essen auf den Boden geworfen wird (ich übrigens auch, weil ich dann putzen muß) ist es doch völlig legitim, es aus ihrer Griffweite zu entfernen. Zumindest vom antiautoritären Standpunkt aus (inwieweit sich NE und selbstregulative Erziehung unterscheiden ist mir noch nicht so richtig klar *g*). Denn damit überschreitet sie DEINE Grenzen. Und wenn Du das auch so kommunizierst und keine erzieherische ABSICHT dahintersteckt, passt es doch. LG Trinity

Mitglied inaktiv - 25.07.2007, 07:12



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..."Denn damit überschreitet sie DEINE Grenzen. Und wenn Du das auch so kommunizierst und keine erzieherische ABSICHT dahintersteckt, passt es doch."... Also die Kommunikation nur rein Informell ? Und dann darauf hoffen daß das Kind mit seinen 16 Monaten so vernünftig ist auf seine Mutter Rücksicht zu nehmen. "Ok, Mama, wenn es dich stört laß ich es halt" ?!? Und selbst dann wäre es doch beeinflusst und somit die erzieherische Absicht erfüllt ! Erinnert mich an "Bär wasch mich, mach mich aber nicht naß" :-) Grüßle

Mitglied inaktiv - 25.07.2007, 08:26



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WELCHE erzieherische Absicht denn? Wenn ich einem mit Essen werfenden Kleinkind den Teller weg nehme, dann will ich es nicht erziehen. Ich will lediglich MIR Arbeit ersparen. *g* Ob mein Kind aus dieser meiner Handlung etwas "lernt", ist mir eigentlich wurscht. Ich wahre meine Grenze, sonst nix. Das es in UNSERER Familie NICHT üblich ist, mit Essen zu werfen, erfährt es jeden Tag. Wenn es das FÜR SICH annehmen möchte, wird es das tun. Dazu muß ich es doch nicht "manipulieren". Natürlich dient Kommunikation in erster Linie dazu, sich mitzuteilen. Da geht es um Information (Ich möchte nicht, dass Du das Essen rumwirfst) und natürlich auch um Befindlichkeiten (ich hab keinen Bock auf Küche putzen). Nein, ich erwarte selbstverständlich NICHT, dass ein knapp Anderthalbjähriges über genügend Einsicht und Empathie verfügt, meine Grenze zu achten. Das macht aber nichts. So lange es entwicklungsmäßig noch nicht soweit ist, handele ich halt entsprechend. Was mich aber doch nicht daran hindert, zu kommunizieren. Soziale Fähigkeiten muß ein Kind erst entwickeln. Das kann es aber nur, WENN ich kommuniziere, ihm meine Grenzen und Gefühle mitteile. Andersrum tut es das ja auch, erst non verbal und später immer differenzierter. Ich denke, ein grundlegendes Mißverständnis zwischen Erziehern und Nichterziehern ist die Vorstellung (der Erzieher), die Nichterzieher würden ein Kind im sozialen Vakkum aufwachsen lassen. Zumindest drängt sich mir der Verdacht auf, wenn mal wieder von "Kinder brauchen Grenzen" die Rede ist. *g* Aber auch Nichterzieher leben innerhalb einer SOZIALGEMEINSCHAFT. Und diese kann nur funktionieren, wenn man sich gegenseitig achtet, aufeinander Rücksicht nimmt. MANIPULIEREN im Sinne von: "Ich mache jetzt X, damit mein Kind Y macht" ist dabei aber überflüssig, weil sich die Spielregeln dieser Gemeinschaft aus dem Interesse ALLER ergeben. JEDER möchte, dass auf ihn Rücksicht genommen wird. JEDER möchte, dass seine Grenzen wahrgenommen und respektiert werden. Erwachsene haben nur den Vorteil, dass sie dies weit besser definieren und im Zweifelsfall auch besser durchsetzen können (indem sie dem Essenweitwerfer den Teller wegnehmen). Der springende Punkt ist aber: Nehme ich den Teller weg, damit mein Kind sein Verhalten in Zukunft ändert? Wenn ja, IST das natürlich Erziehung/Manipulation. Oder entferne ich das Ding lediglich, um es IN DIESER KONKRETEN SITUATION am Werfen zu hindern. Dann ist das Schadensbegrenzung. Und frei von jeglicher erzieherischer und manipulativer Absicht. ;)

Mitglied inaktiv - 25.07.2007, 20:50



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Hsllo Johanna, ich glaube, wie du, dass ein Kind von Geburt an GUT ist. Bin auch der Meinung, dass so, wie man als Kind behandelt wurde, man meist auch sein Kind behandelt (erzieht). Bei mir waren jedenfalls die Ansätze da. Meine Mutter hat mich und meinen Bruder sehr autoritär erzogen, Schlafprobleme gab es nie, wir mußten uns tagsüber alleine beschäftigen und wenn wir hatten strikt nach Regeln zu leben, die uns unsere Eltern auferlegten. Verletzten wir diese Regeln, gab es Schimpfe, Strafen und auch mal einen Klaps (bis zur Ohrfeige). Bei anderen Kindern in unserem Alter lief es auch so ab. Wenn man darüber nachdenkt, hat jeder Erwachsene mehr oder weniger eine "Macke", ich bin eher rebellisch und temperamentvoll, mein Bruder ist extrem harmoniebedürftigt. Auch bei meinem Mann oder meinen Freunden kann ich solche "Macke" feststellen, sei es mangelndes Selbstvertrauen, Beziehungsangst, oder halt Sturheit. OB es am Erziehen liegt? Ich weiß nicht? Ist es nicht einfach nur eine angeborene Charaktereigenschaft? Schon bei Babys stellt man ja Unterschiede im Charakter fest. Fakt ist bloß, dass ich weiß, wie ich mich in bestimmten Situationen als Kind gefühlt habe, und das meine Charaktereigenschaft "rebellisch und aufbrausend" dadurch eher bestärkt wurde. Eigentlich hatte ich als Kind immer wieder die gleichen "Unarten" - irgendwelche Streiche ausgeheckt und Unkonzentriertheit und Stören in der Schule. Als Teenie habe ich mich einfach über Zeiten, die meine Eltern mir vorgaben, hinweggesetzt. Nach Bestrafung wurde es vielleicht kurze Zeit besser, dann verfiel ich aber wieder in das gleiche Verhaltensmuster. Ich weiß nicht, warum ich mich so genau daran erinnern kann, mein Mann weiß nur, dass er öfter eine an den Hals bekommen hat, aber nicht mehr, aus welchen Situationen heraus. Mein Verhältnis gegenüber meinen Eltern ist heute eher sehr freundschaftlich, ich habe zwar öfter Auseinandersetzungen mit meiner Mutter, wenn sie mir bei Neele reinreden will, aber ich denke, dass ist normal und kennt jeder. Mit der Nicht-Erziehung tue ich mich noch schwer (die einzelnen Punkte, die mir nicht behagen, hatte ich schonmal erwähnt), aber nicht aus der Auffassung, dass das Kind nicht gut ist, sondern eher, dass dem Kind das nötige Wissen noch fehlt - Bsp: finanzielle Mittel, Ernährung. Das Kind lernt ja erst noch die verschiedenen Zusammenhänge auf seinem weiteren Lebensweg. Ich habe mich entschieden, hier zwar nicht zu erziehen im klassischen Sinn durch Regeln und Grenzen, sondern durch - ich nenne es mal - Hilfe und Unterstützung. Wie ich das nun genau anstelle? Das weiß ich leider noch nicht. Bei der Ernährung denke ich mal, ich habe eine begrenzte Anzahl Süßigkeiten im Haus, sowie auch "gesunde Leckereien", aus denen Neele entscheiden darf, was und wieviel sie ißt. LG, Claudia

Mitglied inaktiv - 25.07.2007, 11:14