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Geschrieben von Ralph am 27.10.2011, 16:52 Uhr

Mein altes Posting vom 17.12.2004 zum Thema Strafvollzug usw. (sehr lang)...

Es ist absolut aktuell, und kein Wort würde ich heute ändern oder gar zurücknehmen (abgesehen von Tippfehlern, die ich aber so stehen lasse.



Zitatanfang



"Hallo Susi,

welche Rolle hat denn für Dich der Strafvollzug? Strafvollstreckung oder Rache? Versuche der Wiedereingliederung oder das Befriedigen niederer Instinkte?

Bei allem Verständnis für die Betroffenheit über Tat, deren Opfer und deren schweren Qualen, da mußt Du verdammt aufpassen, daß Du über Umwege nicht auf eine ähnliche Stufe wie die Täter kommst.

Ein paar der wichtigsten Sätze in meinem ganzen Leben überhaupt hat mir vor wenigen Monaten ein sehr gewissenhafter und bei den Insassen als harter, aber gerechter Hund bekannter Vollzugsabteilungsleiter anläßlich meines mehrmonatigen Dienstantritts in einem Gefängnis gesagt:

"Vergessen Sie niemals bei Ihrer Arbeit hier, daß es sich bei den Insassen um Menschen handelt, ganz gleich, was sie getan haben. Sie alle verbüßen hier eine lange Freiheitsstrafe, aber nur darin besteht ihre Strafe. Sie bleiben Menschen mit all ihren Bedürfnissen."

Woher nimmst Du Dir das Recht, mehr zu bestrafen als die Richter? Woher weißt Du von einer laschen Justiz? Kennst Du Dich aus? Weißt Du etwas vom Strafvollzug, dessen Inhalt und dessen Praxis? Ist Dir bekannt, wie komplex beispielsweise eine Prüfung einer Entlassung nach 2/3 der Haftstrafe ist und wieviele Menschen daran mitwirken, bevor diese Stellungnahme überhaupt der zuständigen Strafvollzugskammer (= Gericht!) zugeleitet wird? Wenn nein, dann sei vorsichtig mit Deinen pauschalierten, in dieser Hinsicht unqualifizierten Äußerungen. Sie entsprechen nämlich keinesfalls der Realität! :-)

Der Skandal besteht nicht darin, daß die Täter Therapie- und andere Hilfsangebote erhalten. Er besteht darin, daß für die Täter es eine ganze Reihe solcher Hilfsschienen gibt, während nach meiner Kenntnis die Hilfsangebote für die Opfer und deren Angehörigen sehr spärlich gesäht sind.
Ich gebe Dir völlig Recht und bin vollkommen mit Dir, wenn Du endlich mehr Hilfe für die Opfer einforderst.
Ich habe auch den Eindruck, daß insbesondere bei Sexualdelikten manche Richter Ihren Spielraum bei der Strafzumessung nicht völlig ausschöpfen. Das muß ja nicht zwangsläufig in jedem Fall gleich die Höchststrafe bedeuten, aber auch ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß vor der Höchststrafe seitens der Richter desöfteren zurückgeschreckt wird.
verwechsle das aber bitte nicht mit dem Strafvollzug, der spielt sich auf einer völlig anderen Ebene ab.

Rachegelüste aber helfen nicht weiter. Ich sage aber auch hier nochmals ganz deutlich, daß Opfer solcher Straftaten zumeist nicht mehr objektiv in dieser Sache denken können und deshalb als Richter solcher Prozesse nicht taugen. Das ist absolut verständlich, ich verurteile es nicht, will es aber trotzdem beim Namen genannt haben.

Eine Strafe, wie gestaltet auch immer, kann keine Tat rückgängig machen. Ich bin mir auch dessen bewußt, daß ein Diebstahl andere Folgen und Gefühle beim Opfer erzeugt als Geiselnahme, Vergewaltigung und schwere oder gefährliche Körperverletzungen. Keine Strafe hilft direkt dem Opfer selbst, sie hilft möglicherweise bei der Verarbeitung, aber wir dürfen nicht in die Schiene geraten "Je härter die Strafe, desto besser für das Opfer..." DAs halte ich für Irrsinn.

Wenn Du freilich in einer Bestrafung nur die Befriedigung deiner verständlichen Rachegelüste siehst, können wir nicht weiterdiskutieren, weil sich dann unsere Wege scheiden. Es bliebe bei mir zwar Verständnis, folgen in Deinen Wünschen und Anliegen hinsichtlich der Strafart für die Täter könnte ich Dir nicht mehr. :-)

Ich wünsche Dir, daß Dir die ewrforderliche Hilfe zuteil wird, die Du benötigst und die Du für Dich erwünschst. Ich wollte Dir nicht auf die Füße treten, ich wollte auch nicht um Verständnis bei Dir werben für die Täter (das habe ich ja selbst nicht), mein Anliegen ist lediglich, bei aller Verzweiflung nicht über das Ziel hinauszuschießen.

Liebe Grüße
Ralph/Snoopy..."



Zitatende


Ich habe nach wie vor nichts hinzuzufügen.

Viele Grüße
Ralph

 
16 Antworten:

Re: Mein altes Posting vom 17.12.2004 zum Thema Strafvollzug usw. (sehr lang)...

Antwort von anbin39 am 27.10.2011, 17:15 Uhr

Perlen vor die Säue.
Diejenigen, die der Text betrifft, werden es weder verstehen noch drüber nachdenken. Emotionales Rachedenken befriedigt viel mehr als rationales Nachdenken.
Eine Person hier hat es sehr treffend formuliert: Es ist furchtbar, ein Verbrechen mit einem weiteren Verbrechen zu rächen. Das macht den Rächer nicht besser. Er stellt sich auf eine Stufe mit dem Täter.

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Re: Mein altes Posting vom 17.12.2004 zum Thema Strafvollzug usw. (sehr lang)...

Antwort von Balsta am 27.10.2011, 17:27 Uhr

Hallo Ralph

ich schätze dich und deine postings sehr aber - egal was ihr jetzt über mich ( wenn ihr es nicht ohnehin schon tut ) denkt - sollte einer meinem kind etwas antun kann ich persönlich für nichts garantieren - ich habe diese wundervollen wesen auf die welt gebracht und liebe sie mehr wie mein eigenes leben somit kann niemand der ihnen es nehmen sollte mit sympathie , verständnis oder einer gerechte strafe rechnen - rechtsstaat ja aber gerade wenn es in diesen bereich geht wird es viel , viel zu lasch gehandhabt - egal - für mich gäbe es nur eine strafe in diesem bereich - welche könnte ihr euch warscheinlich denken - wenn ein täter jemandem das leben nimmt dann hat er sein recht auf dieses auch verwirkt

warum eigentlich perlen vor die säue werfen ?? darf man nur eine meinung haben ???

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ergänzung

Antwort von Balsta am 27.10.2011, 17:31 Uhr

stammtischparolen - ich weiß - vergaß ich zu erwähnen

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@Balsta: Todesstrafe? Mein Posting dazu vom 04.11.2003...

Antwort von Ralph am 27.10.2011, 17:37 Uhr

Ich verstehe vollkommen Deine Emotionen, und ich glaube, daß es mir ähnlich gehen würde wie Dir.

ABER, genau deshalb, weil dann der scharfe Menschenverstand außer Betrieb sein dürfte, sollte ich/solltest Du niemals Schöffe oder Richter im Prozeß des konkreten Täters sein.

Und hier mein Posting zur Todesstrafe damals, daß ich auch unverändert heute posten könnte... :


Zitatanfang:

"Da magst Du recht haben, aber
wo ziehst Du die Grenze?
Es gibt so manches: Der Täter war sturzbetrunken, oder ist geistig gestört.
Ich verstehe Dich total, glaube mir, und doch muß ich Dich bremsem, weil sonst ein großer rechtsstaatlicher Flurschaden angerichtet wird.

Ich gebe Dir mal ein anderes Beispiel:

Ich bin eigentlich ein glühender Verfechter der Todesstrafe (für alle, die sich aufregen, bitte das Posting zuende lesen!). Tote Verurteilte sind billige Verurteilte, und Abschreckung ist auch da, jeder weiß, was auf ihn zukommt. Und alles ist klasse, einfach supi!!! :o))
Also, worauf warten wir noch!!! :-)

Tja, wenn da nicht das Problem mit dem Rechtsstaat wäre... und darauf lege ich ja nun allergrößten Wert! :-)

Es ist völlig klar, da kann man sich sogar einig sein: Ein 10facher Kinderschänder gehört auf's Schaffott, den hinterhältigen Pferderipper, der die Tiere bestialisch umbringt, der zudem noch untherapierbar ist, den bringen wir gleich auf den elektrischen Stuhl, und Terroristen, die 100 Menschen auf dem Gewissen haben, werden standrechtlich erschossen.

Salopp gesagt! :-)

Aaaaaber: Da haben wir einen Artikel im Grundgesetz, der besagt: Erst das Gesetz, und dann die Strafe! Gottseidank!
Das bedeutet: Wir müssen VORHER, ABSTRAKT und OHNE konkreten Fall die Straftat beschreiben, wir müssen genau beschreiben, bis wann Zuchthaus und ab wann die Todesstrafe zu verhängen sein soll.
Tja, und damit beginnt unser menschliches Dilemma. Versuch mal die Grenze zu ziehen! Die ersten Tatbestände, die bekommst Du noch spielend hin, aber dann... beginnt irgendwann diese verdammte Grauzone. Hmmm... der Ehemann hat die Frau umgebracht, hinterrücks mit einem Messer(hinterrücks=heimtückisch also Mord), ja, hmmm... aber, sie hatte ihn ja gereizt,... und betrogen... alles kein Grund aber... Todesstrafe? Was ist mit dem Bankräuber, der erschießt, aber es eigentlich nicht wollte? Vorsatz? Mußte er mit Toten rechen?
Achja, und dann die Zeugenarie... Zeugen können gekauft sein... wieviele Zeugen brauche ich, um Mitwisser Mister X via Todesstrafe zu beseitigen, und das beste: Durch den Staat beseitigen zu lassen! Ganz legal!! Und höchstricherlich beschlossen!!! :-)))

Dann fallen mir noch die vielen Fehkurteile in den USA ein, wo sich nach der Vollstreckung herausstellte, daß doch der falsche um die Ecke gebracht wurde...

Ja, und schon sinkt meine schöne Laudatio für die Todesstrafe in Schimpf und Schande in sich zusammen...

... also bin ich letztlich nun doch GEGEN die Todesstrafe (das nur, falls jemand aufgrund meines Eingangssatzes daran zweifelte...*gg*).

Mit Deiner "Fallgruppe" verhält es sich doch ähnlich, wo willst Du die Grenze ziehen, ab der keine persönlichen Verhältnisse mehr gelten sollen? Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Bei Vergewaltigung in der Ehe? Oder wo?
Alles für sich schlimme Vergehen und Verbrechen, aber wir sollten die persönliche Schuld nicht außer Acht lassen.
Das hat sich unsere Rechtskultur über Jahrtausende erarbeitet, und das sollten wir mit beiden Händen festhalten und lieber danach suchen, wo es wirklich fehlt.

Und natürlich muß viel mehr für die Opfer getan werden! :-)

Viele Grüße
Ralph/Snoopy ..."


Zitatende


Auch hier ist nichts hinzuzufügen.

LG
Ralph

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Balsta, das ist genau das, was ich unten meinte

Antwort von like am 27.10.2011, 18:08 Uhr

als Betroffener würden hier wohl die meisten anderes fordern / anders handeln denn als Unbetroffene. Das ist ein normales menschliches Verhalten.
Und es ist sicher nicht verkehrt, sich dessen bewusst zu sein.
Man darf allerdings nicht aus dem Auge verlieren, dass sich aus dieser Tatsache viele Greuel in Bürgerkriegen ableiten.

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Re: Mein altes Posting vom 17.12.2004 zum Thema Strafvollzug usw. (sehr lang)...

Antwort von vallie am 27.10.2011, 18:14 Uhr

ich sitz ja schon seit stunden auf meinen händen und ich habe mir 2004 vorgenommen, nie mehr was dazu zu schreiben, aber nun doch:

balsta.

ich sehe das genauso.

mehr sog i aber net.

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"Im Namen des Volkes..."

Antwort von hgmeier am 27.10.2011, 18:16 Uhr

>Woher nimmst Du Dir das Recht, mehr zu bestrafen als die Richter?

Ich nehme mir vielleicht nicht das Recht zu strafen - aber ich nehme mir durchaus das Recht heraus verhängte Strafen zu kommentieren und aus meinem Blickwinkel zu bewerten.

Und solange diese Urteile mit dem Satz: "Im Namen des Volkes..." eingeleitet werden, werde ich mir dieses Recht auch herausnehmen und zudem auch das Recht härtere Strafen zu fordern.

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Re: Mein altes Posting vom 17.12.2004 zum Thema Strafvollzug usw. (sehr lang)...

Antwort von anbin39 am 27.10.2011, 19:36 Uhr

Was machst Du wenn Dein Kind zum Täter wird? Es eigenhändig umbringen?
Was bringt es Dir wenn der Täter per Gesetz getötet wird. Die Wut wird dadurch nicht weniger. Der Schmerz auch nicht. Am Ende bleibt der schale nachgeschmack des Racheaktes. Es ändert nichts wenn der Täter umgebracht wird. Und es schreckt auch andere Täter nicht ab.
Solange es in USA Menschen gibt, die jahrelang unschuldig auf ihre Hinrichtung warten, kann diese Methode der Vergeltung nicht richtig sein.
Aber ich gebe Dir recht: In unserem Rechtstaat ist der Fokus zu sehr auf die Täter gerichtet. Nicht auf die Opfer. Und ich wäre auch für strengere Auflagen für Täter. Sicherheitsverwahrung. Oder mehrere unabhängige Gutachten die bestätigen daß er wieder raus darf. Nicht nur eines von jemandem, der seine Erfolgs-Statistik beschönigen will.

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Re: "Im Namen des Volkes..."

Antwort von Leena am 27.10.2011, 20:36 Uhr

...dann nehme ich mir mal das Recht, härtere Strafen für Steuerhinterzieher zu fordern. :-)

Ansonsten fühle ich mich gerade aus Studienzeiten an den schönen Terminus der "Mehrheit der vernünftig denkenden Menschen" erinnert. Nicht die Mehrheit der Menschen also, sondern nur die Mehrheit der vernünftig denkenden Menschen. ;-) Wahrscheinlich wird es aus diesem Grund bitte hoffentlich nie eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Todesstrafe bei uns geben.

Für mich (ganz privat und persönlich) ist Todesstrafe nichts anderes als staatlich organisierter Mord - und erfüllt auch den Tatbestand des § 211 II StGB: "Mörder ist, wer ...aus niedrigen Beweggründen ... grausam ... einen Menschen tötet". Rache ist für mich "niedrige Beweggründe" und es ist einfach nur grausam, einen Menschen mit dem Bewusstsein wegzusperren, dass er eines Tages in die Gaskammer geführt wird oder auf den elektrischen Stuhl geschnallt.

Die Welt wird nicht besser, wenn andere an dem Täter auch noch zu Tätern werden. :-(

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Re: ergänzung/wg. Stammtischparolen

Antwort von MartaHH am 27.10.2011, 22:13 Uhr

Hier sind tatsächlich eine Menge Stammtischparolen vom Stapel gelassen worden, ein Beitrag enthielt sogar die Forderung nach "Arbeitslager", was mich wirklich richtig entsetzt hat.

Sollte meinem Kind jemals etwas passieren, wäre auch ich vor Rachegelüsten nicht gefeit - aber unser Rechtsstaat sorgt dafür, dass andere in so einem Fall vor meinen Rachgelüsten gefeit sind, und das ist richtig so.

Gestern sprach jemand seine Hochachtung vor Marianne Bachmeier aus. Ich habe damals lange über diese Geschichte nachgedacht, hab den Film (von Hark Bohm?) gesehen, und sicher kann ich alles nachvollziehen, was diese Frau zu ihrer Tat bewogen hat. Und genau deswegen halte ich es für richtig, dass Selbstjustiz verboten ist und die Tötung eines Mörders hierzulande nicht möglich ist.

Das ganze ist ein Thema, was unendlich viele Facetten beinhaltet (ich denke nur mal an die Fehlurteile in den USA) und nicht mit so Sprüchen wie "Arbeitslager" und der Hoffnung, dass Täter selbst im Knast vergewalttigt werden, abgehandelt werden sollte.

Kurzes Statement: ich bin gegen Todesstrafe. Im konkret angesprochenen Fall würde ich es für angebracht halten, den Täter zur Höchststrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung zu verurteilen.

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@Leena: Vollste Zustimmung! :-) o.T.

Antwort von Ralph am 27.10.2011, 22:30 Uhr

:-)

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Re: "Im Namen des Volkes..."

Antwort von vallie am 27.10.2011, 22:40 Uhr

es ist auch mühsam, darüber zu diskutieren, denn in deutschland wird die todesstrafe nie mehr eingeführt werden. nie=in meinem zu erwartenden leben nicht.
diesbezüglich sitze ich dann auch gerne an einem stammtisch.
bin auch kein weltverbesserer.

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Re: "Im Namen des Volkes..."

Antwort von MartaHH am 27.10.2011, 22:48 Uhr

Ich geh auch davon aus, dass die Todesstrafe nicht wieder eingeführt werden wird. Allerdings war ich auch sicher, dass die DDR samt Mauer auf ewig existieren wird.

Das Problem dahinter ist eigentlich, dass so viele Menschen sich im Grunde ihres Herzens die Todesstrafe wünschen und den Staat als machtlos erleben und daher ablehnen, weil er ihrer Meinung nach saft- und kraftlos ist und Lobbypolitik betreibt. Politikverdrossenheit ist ja nicht nur ein Schlagwort, sondern hat konkrete Folgen (allgemeine Duldung von Steuerhinterziehung zum Beispiel, weil ja dieser Staat mit "unseren" Steuern eh nur Unfug treibt etc.).

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@anbin: (lang)

Antwort von Ralph am 27.10.2011, 23:58 Uhr

Ein Gutachten reicht nicht, um nach 2/3 verbüßter Freiheitsstrafe wieder rauszukommen aus der Haft.

Die Bearbeitung eines solchen Antrages des Häftlings auf Entlassung nach 2/3 der Haftzeit ist ein richtiges "Projekt". Da gibt es, natürlich, zunächst einmal ein Gutachten, meistens von einem externen Gutachter. Desweiteren wird der Häftling vom Vollzugsabteilungsleiter mehrmals inständig befragt. Da klärt sich oft schon einiges, den diese Abteilungsleiter sind ja auch nicht von gestern und kennen ihre Pappenheimer sehr genau. Dann kommt der ganze Fall in die Ebenenkonferenz, da werden dann auch die Wachleute gehört, wie sich der Betreffende denn eigentlich und überhaupt so geführt hat. Die Haftakte wird hinzugezogen, gab es Disziplinarverfahren usw., ja, und dann kommt die "nächsthöhere" Konferenz, das ist die sogenannte Hauskonferenz, da werden dann andere Vollzugsabteilungsleiter gehört, die auch mit dem Betreffenden gearbeitet haben, die Hauspsychologen werden nach IHREN Eindrücken befragt, und die weichen oft genug von der Einschätzung des externen Gutachters ab, wenn letzterer die Prognose allzu positiv sieht (der kennt ja den Haftalltag des Antragstellers in der Regel nicht). Man kann solche externe Gutachten auch "umdeuten", relativieren, verbiegen.. bis es paßt. Das alles fließt in eine Stellungnahme für eine 2/3-Entlassung ein. Und diese wird dann an die zuständige Strafvollzugskammer (Gericht) weitergeleitet, und DIE entscheidet dann über den Antrag auf vorzeitige Haftentlassung.

Was ich sagen will, ist, daß gefährliche Gewaltverbrecher nicht "mal so eben" frühzeitig entlassen werden. Das ist ein ziemlicher Akt, den der Häftling durchlaufen muß, wenn er erfolgreich sein will. Nichtauseinandersetzung mit der Straftat führt sofort zur sehr schnellen negativen Stellungnahme mit entsprechender Entscheidung durch die Strafvollzugskammer. Da braucht's nicht mal ein Gutachten, das steht schon im Bericht des Hauspsychologen.

Ich selbst habe einmal eine Stellungnahme zu solch einem Antrag entwickelt. Das Ergebnis war von Anfang an klar - negativ. Auch der Häftling wußte das von vornherein, er stellte den Antrag nur für sich, um für sich selbst sagen zu können, alles versucht zu haben. Er war unberechenbar und im Grunde jederzeit eine Gefahr. Wenn er auf einer Station "ausflippte", war jedesmal Alarm in der ganzen Anstalt. Er saß viel in Isolierhaft zur Abkühlung. Ich habe mich dennoch mit ihm mehrmals allein zum Gespräch getroffen, wir haben insgesamt bestimmt 4-5 Stunden geredet, in denen er immerhin ein gewisses Vertrauen aufbauete. Dabei hat er mir ziemlich klar seine beruflichen Zukunftsvorstellungen definiert, die ich ihm, ebenso klar, realistsicherweise zunichte machte. Dennoch hatte er eine realistische Vorstellung, was sein Heimatland betraf (Afghanistan), und ich erfuhr Dinge aus seinem Leben, die seine Taten zwar nicht weniger grausam werden ließen, aber trotzdem in Ansätzen nachvollziehbar werden ließ,en weshalb er so wurde, wie er war (Vater wurde erschossen, hernach mit 14 Jahren nachts mit Messer in der Hand als "Mann" vor dem Haus die Mutter und Schwestern beschützt, anschließend in der Armee der Mudschaheddin als "Offizier", vollkommen klar also, was der Mann als Jugendlicher dort bereits erlebt und getan haben mußte, irgendwann über Frankreich - dort lebten Verwandte - nach Deutschland gekommen).
Auf jeden Fall war das ein Mann, der mir die Aussage meines Ausbilders bestätigte: Selbst diese menschliche Kampfmaschine war ein Mensch, der seine Träume und seine Bedürnisse hatte. Und er war hochintelligent, keinesfalls dumm. Und dennoch konnte von jetzt auf gleich seine Stimmung kippen, ich war deshalb innerlich äußerst angespannt und auf der Hut.

Die Gespräche und Begegnung mit diesem Häftling, der zu 100% entweder nach Afghanistan abgeschoben oder immer noch in Haft ist, hat mich sehr geprägt und mir sehr viel in meiner Lebenserfahrung gegeben.

Natürlich kann man die Meinung vertreten, daß solche Menschen nicht resozialisierbar sind (wohl die richtige Einschätzung) und deshalb am besten staatlich beschlossen beseitigt werden.
Ich habe dazu eine andere Meinung.

Nun bin ich sehr vom Thema abgekommen, aber ich denke, mein Beitrag paßt dennoch gut zum Thema.

Viele Grüße
Ralph

Ich erzähle das alles, weil der Mensch ein komplexes Wesen bleibt, auch wenn er unmenschliches anrichtet oder angerichtet hat.

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Das Gericht ist nun mal für die Täter zuständig

Antwort von Strudelteigteilchen am 28.10.2011, 9:16 Uhr

Insofern müssen wir uns - was die Opfer angeht - an die eigene Nase fassen.

Das Gericht beschäftigt sich, per definitionem, mit dem Täter. Mit seiner Strafe, mit der Gefährdung durch ihn, und im Zusammenhang damit mit seiner Schuld und Verantwortung. In Deutschland ist - im Gegensatz zur angelsächsischen Rechtsauffassung (und meiner Ansicht nach auch mit guten Gründen) - die Rechtsprechung über den Täter weitgehend abgekoppelt von der Genugtuung für das Opfer.

Kürzlich sah ich - war es bei Spiegel TV? Ich bin mir nicht sicher - einen Bericht über ein Gefängnis in den USA. Da kam ein Straftäter zu Wort, der seit Jahrzehnten einsaß und regelmäßig Anträge auf Haftverschonung stellte. Bei den Anhörungen dazu waren auch immer die Angehörigen des Opfers anwesend, die dann ein großes Plakat mit einem Bild des Opfers hochhielten - und daraufhin wurde sein Antrag regelmäßig abgelehnt. Obwohl der Mann inzwischen über 80 ist, seit fast 40 Jahren einsitzt, und die Tat eine Beziehungstat war, eine Wiederholung also sehr unwahrscheinlich ist. DAS ist in Deutschland nicht möglich - und ich finde das gut so.

Ja, WIR sollten uns mehr mit den Opfern beschäftigen. WIR sollten darauf achten, daß Opfer wieder in die Gesellschaft zurückfinden, daß sie enschädigt - soweit das möglich ist - und aufgefangen werden. Aber: Das Gericht ist dafür nicht zuständig. Es ist die originäre Aufgabe des Gerichts, sich mit den Tätern zu beschäftigen.

In meinen Augen ist das eine Chance: Wir - die Gesellschaft - delegieren die Beschäftigung mit den Tätern an das Gericht, damit wir uns um die Opfer kümmern können. Doch: Tun wir das???? Weswegen wird denn hier ein Thread nach dem anderen aufgemacht? Weil man sich hier mit den Opfern beschäftigt??? Nein, es geht (wieder!!!!) nur um den Täter. Die Opfer kommen nur am Rande vor, als Rechtfertigung für unsere eigenen Rachegelüste. Und in der Presse sind die Opfer die reißerischen Aufmacher, um sich auch dort nur wieder mit dem Täter zu beschäftigen.

Ich wohne nicht in Norwegen, deswegen weiß ich nicht, ob es dort tatsächlich so ist. Aber aus der Ferne habe ich den Eindruck, daß die norwegische Gesellschaft es beim Amoklauf auf Utoya hinbekommen hat, den Fokus mehr auf die Opfer als auf den Täter zu legen. Beeindruckend. Und offensichtlich möglich. Warum klappt das hier nicht??

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@STT

Antwort von Ralph am 28.10.2011, 10:12 Uhr

"Ich wohne nicht in Norwegen, deswegen weiß ich nicht, ob es dort tatsächlich so ist. Aber aus der Ferne habe ich den Eindruck, daß die norwegische Gesellschaft es beim Amoklauf auf Utoya hinbekommen hat, den Fokus mehr auf die Opfer als auf den Täter zu legen. Beeindruckend. Und offensichtlich möglich. ..."

Ja, diese Gedanken schossen mir neulich auch durch den Kopf. Ich war geradezu baff, mit welcher Kaltschnäutzigkeit das Gericht das Ansinnen desTäters nach öffentlicher Selbstdarstellung einfach vom Tisch gewischt und ihm somit die erhoffte Plattform verwehrt hat. Und hinterher hat man nichts von anwaltlichem Eunspruch o.ä. gehört.
Beeindruckend, ja, und in Bezug auf z.B. unsere deutsche Geselllschaft fast schon etwas beschämend.

Ich kann Dir in allem nur beipflichten.

LG
Snoopy

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