Rund um die Erziehung

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Geschrieben von solelo am 01.11.2006, 11:50 Uhr

an alle nicht erziehenden...

Liebe Christiane,

bei Nichterziehung geht es nicht um Vernachlässigung, wie oft gleichgestellt wird (das hast du in deinem Posting nicht gesagt, aber ich wollte das erst Mal vorneweg schreiben). Es geht darum, dem Kind zu helfen, das zu tun, was es tun will.

Selbstverständlich greifen wir ein, wenn eine Gefahr besteht. Wenn das Kind aus dem Fenster springen "will" dann werden wir das nicht zulassen – genauso wenig wie ich das bei einem Erwachsenen nicht zulassen würde!!!

Als ich noch erzogen habe, saß mein Kind ein Mal auf der Fensterbank, nicht weil sie springen wollte sondern weil sie es cool fand. Als sie runter war habe ich sie "erzogen" – ich habe eine Moralpredigt gehalten, erklärt, wie schlimm das ist, alles mögliche erzählt, was hätte passieren können. Das Problem ist, dass man oft was sagt "da fällt man runter" – das Kind aber gerade genau die Gegenteilige Erfahrung gemacht hat, und zwar, dass es eigentlich sich total wohl gefühlt hatte und noch nicht Mal geschwankt hat und es war froh, diese schwere Aufgabe gemeistert zu haben.

Das führt zu Misstrauen, und deshalb – auf die Frage, was will Nichterziehung erreichen: Wir wollen mit Nichterziehung erreichen, dass unsere Kinder uns IMMER vertrauen und nicht nur bis zur Pubertät ;-) Die sogenannte "Pubertät" wird in der Nichterziehung nicht erwartet und auch nicht als "notwendige Abnabelungblah" angesehen. Was wir sehen, ist dass Kinder, die jahrelang erzogen wurden mit wiedersprüchlichen Aussagen, Strafen, Androhungen, Belohnungen, willkürlichen Regeln (alles in mehr oder minder hohem Maß), irgendwann körperlich und geistig irgendwann so weit sind, dass sie sich endlich WEHREN können - das ist die Pubertät, deshalb "rebellieren" sie so. Kinder, die sich nicht wehren müssen, weil ihnen *geholfen* wird und weil sie immer respektiert wurden, müssen sich nicht wehren! Die Pubertät wird sich in Pickel, Schamhaaren und Hormonschwankungen, größerer Privatsphäre zeigen, und das war's.

Um also auf deine Frage zurückzukommen, es geht um ein tiefes Vertrauensverhältnis. Bei Nichterziehung geht es immer darum, so gut wie möglich im Rahmen der Möglichkeiten und der *natürlichen* Grenzen die Beziehung zu fördern und dem Kind zu helfen, das zu tun, was es tun will, so zu sein, wie es ist. Natürliche Grenzen werden Geld, Zeit, Freiheit des Nächsten und auch Gesundheit und sonstige Gefahren sein.

Bei Nichterziehung gibt es immer mehr als nur zwei Möglichkeiten. Die zwei Möglichkeiten, die du in deinem Fall siehst sind:

1) Mein Kind nimmt Medizin ob es will oder nicht und wird wieder gesund
2) Mein Kind wird "nicht erzogen", muss keine Medizin nehmen wenn es nicht will und bleibt dann aber krank und im schlimmsten Falle stirbt es.

Deine Optionen sind beschränkt auf: Medizin geben oder nicht geben!

Nichterzieher sehen es aus der Sicht des Kindes: Das Kind versteht nicht den Verlauf einer Krankheit, es hat keien Ahnung von Bakterien/Viren oder wie das funktioniert, und Kinder leben im JETZT. JETZT fühle ich mich doch noch OK, wieso soll ich irgendeine furchtbar schmeckende Medizin nehmen?

Ein erzogenes Kind hat zudem schon öfter Mal die Erfahrung gemacht, dass die Eltern Blödsinn reden. "Du fällst hin", "das geht kaputt" etc. Kinder werden geboren mit der Gabe, intuitiv zu erkennen, was sich "gut" anfühlt. Danach handeln sie. Wenn ihr auf dem Spielplatz seid und es fühlt sich dort "gut" an, und du sagst "wir müssen jetzt gehen (ob du willst oder nicht)" redest du in AUgen deines Kindes absoluten Schwachsinn – es fühlt sich doch gerade voll gut an. Wenn es dagegen Hunger hätte oder es müde wäre, würde es sich nicht gut anfühlen und es wäre "besser", nach Hause zu gehen, wo es dann wieder "gut" wäre. Wir folgen daraus, dass das Kind öfter Mal die Erfahrung gemacht hat, dass du das Kind nicht "verstehst", dass du öfter Mal "Schwachsinn" (in Augen de KINDES!) redest und es dir deshalb oft nicht so ganz vertraut.

Ein Nichterzogenes Kind hat dieses Vertrauen nicht verloren, weil die Eltern so was eben nicht machen. Daher, wenn die Mutter dann sagt, "Die Medizin ist wichtig damit du wieder gesund wirst", wird das Kind aus der Erfahrung, dass die Mutter immer geholfen hat, immer (meistens!) "richtig" war, dass sie das Kind noch nie gedemütigt, enttäuscht oder irgendwas getan hat, das sich "nicht gut" angefühlt hat (again – aus Sicht des Kindes – für uns mögen viele Dinge sehr "vernünftig" und "gut" für das Kind sein!) und denken: "meine Mama hat recht – ich nehme die Medizin. Wenn sie mir nicht schmeckt, wird sie alles tun, um es mir zu erleichtern, sie hat immer so gute Ideen".

Also: zwischen Medizin nicht geben und Medizin geben liegt eine große Spanne an Möglichkeiten, die du machen kannst, um ZUMINDEST deinem Kind zu zeigen, dass du dir ALLE MÜHE gibst, es ihm zu erleichtern. Wenn du einfach sagst "SO Mund auf, es geht einfach nicht anders" dann hast du dir nicht alle Mühe gegeben!

Dir zu sagen, dass einem Nichterzieher so was gar nicht erst passiert, weil das Kind vertraut, hilft dir wenig. Wenn man sich auf dem Weg zu Nichterziehung macht, braucht man viel Geduld. Das Kind wird noch oft die "alten Sprüche" raushören, auch wenn man sich größte Mühe gibt. Das Kind muss erst Mal das Vertrauen wiedergewinnen.

Wenn du also bis jetzt erzogen hast und jetzt EIN MAL es anders versuchst, wirst du enttäuscht sein, wenn es nicht gleich auf Anhieb "klappt", und wirst wahrscheinlich schlussfolgern, dass es Quatsch ist. Wenn du es öfter versuchst, und es auf alle Bereiche des Lebens anwendest wirst du aber schnell einen GROSSEN Unterschied bemerken, und das zu erleben ist wunderschön! Hilfe, Tipps und Unterstützung findest du bei mir in der Mailingliste (unter www.unerzogen.de findest du einen Link dazu).

Also hier ein paar Tipps, wie es ein Nichterzieher machen könnte, um zumindest zu zeigen, dass man sich alle Mühe gibt:

- Auf dem Schoss nehmen.
- Geduldig sein – es muss nicht SOFORT sein, vielleicht darf man sich und dem Kind einen Tag Zeit lassen, sich and den Gedanken zu gewöhnen?
- Den Arzt oder Apotheker im Beisein des Kindes anrufen oder hingehen und fragen, ob es eine andere Medizin gibt, die man vielleicht nur 2x nicht 3x am Tag nehmen muss (bei Antibiotika gibt es das!)
- das selbe machen und fragen, ob es eine gibt, die besser/anders schmeckt
- mit Süßigkeiten/Saft/Eis/XXX mischen (eventuell fragen, ob das erlaubt ist
- mit Saft/Cola/Lieblingsgetränk runterspülen
- die Gefühle/Empfindungen des Kindes NICHT negieren: (NICHT: "Ach was, das schmeckt doch voll gut" – sondern: "ja, das schmeckt wirklich scheusslich, ich kann verstehen dass du das nicht willst. Was meinst du könnte dir helfen, das zu nehmen?")
- Das Kind fragen, was ihm helfen könnte – Optionen geben: das der Apotheker/Arzt es ihm gibt? Die Schwester? Der Papa oder die Mama? Lieber mit Cola oder mit Apfelsaft? Lieber jetzt oder später?
- Manche Kinder ziehen Tabletten vor!

Wem ist es wichtig, das zu tun? Dir. Du kannst auch sagen: danach könnten wir X machen. Das ist keine Bestechung, sondern ein Zeichen der Dankbarkeit/Anerkennung und/oder Wiedergutmachung für die Unerträglichkeit, die es ertragen musste.

Wenn das alles nicht hilft und es unbedingt sein muss – dann muss es unbedingt sein. Wenn du dann sagst "so, war doch nicht so schlimm", hast du wieder die Gefühle negiert. Wenn du sagst "ich kann versethen, dass es total doof war. ich mache mir Sorgen um dich. Vielleicht finden wir morgen eine bessere Lösung. Vielleicht können wir jetzt was machen, was dich wieder aufmuntert" ist es schon eine GANZ andere Message.

Dies hört sich nach VIEL Arbeit an. Es IST am Anfang viel Arbeit. Aber nach und nach vertraut dir das Kind so sehr, dass du jetzt und auch später, in der Pubertät und darüber hinaus auch Mal sagen kannst: "Du, vertrau mir in dieser Sache. Mach das lieber nicht/mach das lieber so" etc. Ein Kind, dass mit Vertrauen, Respekt und Hilfestellung begegnet wurde wird so einen Rat annehmen. Es kann aber IMMER auch nein sagen! Nichterziehung hat nicht das Ziel, gehörige Kinder zu "produzieren".

Es wird im Laufe der Zeit viel einfacher :-)

Erzogene Kinder können ihren Eltern auch irgendwann, nach der "Rebellion" in der Pubertät wieder vertrauen. Sie können dan "alles verstehen" und verzeihen und sagen "Jetzt verstehe ich Mama". Sie können sich bedanken für die Mühen etc. Aber dies geschieht nach unserer Meinung TROTZ und nicht WEGEN Erziehung :-)

Liebe Grüße
Johanna

P.S.: Ich bin nicht "Erziehunggeschädigt". Ich wurde recht frei erzogen, hatte meine Grenzen und Regeln etc. Hatte Pflichten zu Hause aber nicht übermäßig. Als meine Pubertät vorbei war, habe ich meinen Eltern gedankt. Als ich ein eigenes Kind hatte, habe ich "alles verstanden". Ich habe 7 Jahre lang erzogen. Irgendwann stößt man bei Erziehung viel eher an eine Grenze. Was macht IHR denn, wenn ein Kind trotz Drohung, Belohnung, Sternchen, Routinen, Regeln, Streit, Diskussionen etc. das Kind dann TROTZDEM nicht das macht, was es "soll". Ihr wendet Zwang an. Das ist meiner Meinung nach Menschen verachtend und gewältätig.

 
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