Sehr geehrter Dr. Busse,
Mein zweijähriger Sohn, leidet seit seinem ersten Lebensjahr an Übelkeit während Autofahrten.
In den letzten Monaten hat sich sein Zustand etwas verbessert und er spuckt nicht schon direkt nach 5 Minuten, sondern erst nach so ca 20 Minuten Fahrt. Auch bei anderen Transportmitteln wie dem Zug oder sogar beim Einkaufen im Einkaufswagen (rückwärts) wird ihm oft schlecht.
Ich hatte bereits zuvor mit meinem Kinderarzt gesprochen, und er hatte erwähnt, dass es ab dem zweiten Lebensjahr möglicherweise ein geeignetes Medikament für ihn geben könnte. Nun ist mein Sohn zwei und es hieß allerdings von der Praxis, ich solle einfach in der Apotheke nach einem entsprechenden Medikament fragen. Jedoch habe ich Bedenken bezüglich des Wirkstoffs Dimenhydrinat, nachdem ich einige negative Berichte darüber gelesen habe.
Ich habe nun selbst im Internet ein wenig nach Medikamenten ab 2 Jahren geschaut und bin auf den Vomex-Sirup oder den VomiSaft von Paedi gestoßen. Beide enthalten allerdings dieses Dimenhydrinat. Ist das wirklich so bedenklich?
Ich verstehe, dass die Zeit meines Arztes begrenzt ist und dass es viele dringende Angelegenheiten zu behandeln gibt. Dennoch fühle ich mich etwas im Stich gelassen und würde Sie darum bitten, mir evtl ein passendes Medikament ab 2 Jahren zu empfehlen.
Wir fliegen in 3 Wochen in den Urlaub und ich möchte ihm die Anreise angenehm machen. Ich möchte ihm nicht bei 30 Minuten Autofahrten etwas geben, sondern wirklich erst wenn es etwas länger dauert. Letztes Jahr hat er im Flugzeug auch gespuckt.
Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen.
LG Mama2022
von
Mama2022
am 29.04.2024, 15:27
Antwort auf:
Reiseübelkeit Medikament
Liebe M.,
Kinder unter drei Jahren sollen nur unter strenger Indikation und sorgfältiger Beachtung der Dosierung die antiemetischen Wirkstoffe Dimenhydrinat oder Diphenhydramin bekommen. Das hat das BfArM beschlossen. Hintergrund für die Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sind 39 Meldungen über schwerwiegende Nebenwirkungen wie Krampfanfälle unter Dimenhydrinat und Diphenhydramin. Die Warnung betrifft vor allem Überdosierungen mit Dimenhydrinat/Diohenhydramin bei Kindern unter drei Jahren, die lebensbedrohlich sein können. Als Höchstdosis dürfen Kinder bis drei Jahren maximal 5 mg/kgKG Dimenhydrinat pro Tag erhalten.
Um Reiseübelkeit bei Kindern vorzubeugen, ist es hilfreich, einerseits die Bewegungsreize so gering wie möglich zu halten und andererseits die optischen Eindrücke anzupassen. Eine der wirksamsten Maßnahmen ist der richtige Sitzplatz. Bei aufkommender Reiseübelkeit ist es sinnvoll, wenn das betroffene Kind auf der Rückbank in der Mitte sitzt und freie Sicht nach vorn hat, sodass es den Blick in die Ferne richten kann. Das hilft dem Gehirn dabei, die Informationen von Auge und Innenohr in Einklang zu bringen. Optimal ist es, die Augen auf den Horizont oder ein weit entferntes, ruhendes Objekt zu richten. Kleinen Kindern können Sie dabei helfen, indem Sie sie auf Berge, Windräder oder weidende Tiere in der Ferne aufmerksam machen. Ebenso ist es im Flugzeug in der Mitte – etwa auf Höhe der Tragflächen – am ruhigsten. Für Unterhaltung auf der Fahrt gilt: Ablenkung tut gut. Allerdings sind Buch, Handy und Tablet eine denkbar ungünstige Lösung, da der Blick auf das unbewegte Objekt die Symptome verstärken kann. Besser eignen sich Musik und Hörspiele, gemeinsames Singen sowie Spiele wie "Ich packe meinen Koffer" oder "Ich sehe was, was du nicht siehst".
In vielen Fällen geht es auch ohne Reisetabletten, wenn Eltern von Kindern mit Reiseübelkeit auf einige Eckpunkte achten. Neigt das Kind zu Reisekrankheit und Erbrechen, ist in jedem Fall eine gute Essensplanung sinnvoll: Mit vollkommen leerem Magen wird Betroffenen oft noch schneller schlecht, üppige und fettreiche Mahlzeiten sind ebenso kontraproduktiv. Hilfreich ist häufig, wenn das betroffene Kind im Vorfeld einen kleinen Snack (zum Beispiel Obst und Brot oder ein Müsli) zu sich nimmt.
Haben Sie eine längere Reise vor sich, packen Sie am besten leichten Proviant zum Knabbern ein – zum Beispiel Brezeln, Salzstangen, Zwieback, Knäckebrot, geschnittene Rohkost oder Trockenobst. Als Durstlöscher sind stilles Wasser oder lauwarmer Tee (zum Beispiel mit Fenchel, Kümmel und Anis) besser geeignet als Getränke mit viel Zucker, Säure und Kohlensäure.
Hilfreich sind regelmäßige Pausen, bei denen das reisekranke Kind aussteigen, durchatmen und sich kurz die Beine vertreten kann. Passt es in den Reiseplan, können Sie es auch mit einer Nachtfahrt oder einem Flug zu später Stunde versuchen: Schlafend überstehen viele Kinder mit Reiseübelkeit lange Touren oft deutlich besser.
Für Hausmittel gibt es zwar keinen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis, dennoch sind sie im Einzelfall einen Versuch wert, da die Nebenwirkungen gering und der mental unterstützende Effekt oft umso größer ist:
Ingwer (zum Beispiel in Form von Tee, kandiert oder als Tabletten)
Kaugummis oder Lutschbonbons mit Pfefferminzgeschmack (wegen Verschluckgefahr nicht für Kleinkinder!)
Akupressur-Armband mit eingenähtem "Druckpunkt" fürs Handgelenk
Ätherische Öle mit Zitrus- oder Pfefferminzduft (etwa auf einem kleinen Tuch oder Wattepad zum Schnuppern bei Bedarf).
Im Notfall und unter strikter Vermeidung einer Überdosierung ist Dimenhydrat für Kinder ab 2 Jahren ein wirksames Mittel. Was aber immer im Einzelfall mit dem Kinderarzt abgesprochen werden sollte.
Gute Reise!
von
Dr. med. Andreas Busse
am 29.04.2024