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Geschrieben von Schniesenase am 06.03.2019, 10:36 Uhr

Gleichheit....

Vorweg - das ist jetzt ganz lang, wer lesen mag, muss ja niemand. Das Thema beschäftigt mich schon so lange!

Wir hatten dieses Gespräch letztens hier mit jemandem, der sagt, in Deutschland hätte er es nie geschafft, Abi zu machen und zu studieren. Er ist hochintelligent und erfolgreicher Finanzler geworden. Ist in den USA auf ein Internat gegangen, da die Eltern in einem Land lebten, in dem Kinder nicht sicher aufwachsen konnten. Er meinte, die Lehrer dort hätten sich als helfende Begleiter der Schüler gesehen und sie in allem im Fortkommen unterstützt. Ohne das hätte er es nicht geschafft.

Natürlich kostet so ein Internat ein Vermögen und gehört in den Bereich Eliteschule. Dennoch zeigt das, wie es sein KÖNNTE. Letztendlich ist das, was wir eigentlich wollen: Lehrende begleiten junge Menschen auf ihrem (Lern-)Weg und unterstützen sie dabei, das Beste aus sich zu machen. Das kostet aber sehr viel Geld und bestqualifiziertes Personal, das sich ständig fortbildet und entwickelt, evaluiert und wohlwollend kritisch betrachtet.

Unsere Schulen haben in vielem systemisch Unterbesetzung: im Personal zu wenig, an den Ressourcen zu wenig, die Gebäude marode und überwiegend zu klein, viel zu kleine Klassenräume für zu große Klassen (oft), sanitäre Situation desaströs, technische Ausstattung ein Trauerspiel, und wo sie stimmt, müssen dafür nicht gedachte und oft auch nicht qualifizierte Lehrer in ihrer Freizeit die Administratioren spielen. Wir haben immer noch ein System, in dem Lehrer Fachunterricht machen, aber außerfachliche Arbeit nicht gezählt, sondern nach Goodwill geleistet wird. Das Dreistundengespräch mit dem suizidgefährdeten türkischen Mädchen, das eben nur zu dieser Lehrerin so viel Vertrauen hat, dass es sich öffnet, bemerkt niemand, ist nicht eingeplant und zählt außer im Miteinander mit den jungen Menschen für niemanden was. Die Arbeit, die in dieser Zeit nach dem Kernunterricht nicht gemacht werden kann, macht dann auch niemand anders, und den Ärger bekommt die persönlich engagierte Kollegin dann gratis, weil die Arbeit zu spät zurückgegeben wird usw.

Wenn Elternhäuser sich nicht kümmern oder nicht in der Lage sind, das zu tun, und damit meine ich nicht, dass sie den jungen Menschen die HA nachtragen, sondern dass sie ein gesundes Lebensumfeld für ihre Kinder schaffen, mehr braucht es doch nicht, dann muss das eine andere Instanz tun. Die Instanz, die die Kinder am besten kennt und am längsten "hat", ist die Schule. Also muss Schule das leisten, denn sonst leidet die ganze Gesellschaft. Für diese Leistung aber fehlen der Schule die Strukturen, den Lehrern die Freiheiten (und auch die Überwachung derer, die es sich bequem machen, denn die gibt's überall) sowie an den Schulen mit den Schülern täglich umgehende Personen, die nicht gleichzeitig lehren und BEWERTEN müssen. Nennt sie Sozialpädagogen oder Erzieher oder was auch immer. Die Leute müssen qualifiziert sein. Pädagogische Hilfskräfte sind manchmal tolle Leute, aber das ist dann Glückssache, ob sie wirklich gute Arbeit tun, außerdem werden sie grottenschlecht bezahlt und ausgenutzt, eine schlechte Voraussetzung für gute Arbeit.

Zum Thema Gleichheit: Ist stimme allen zu, die sagen, das Leben ist nicht gerecht, und wohin man geboren wird, hat was mit Glück oder Pech zu tun. Gerade war hier ein Artikel in der Zeitung, in dem es um die Sprachstandsfeststellungen für die Schule ging, die hier etwa ein Jahr vor der Einschulung durchgeführt werden und dazu führen, dass ggf. Sprachunterricht gegeben werden muss, bevor die Schule besucht wird. Man redet von 25% schweren Sprachentwicklungsstörungen. Rund die Hälfte aller Kinder haben Defizite, in manchen Regionen auch noch mehr. Und das beschränkt sich keineswegs, wie oft geglaubt wird, auf die Kinder ausländischer Herkunft.

Warum ist das so. Die Antwort wurde diskutiert, und ich kann es bestätigen. Spracherwerb findet in der vorschulischen Kindheit statt. Spracherwerb kann nur funktionieren über das mit dem Kind in Bindung sprechende Gegenüber, Eltern, Geschwister, Familienmitglieder, Nachbarn, vor allem aber eben alle Menschen innerhalb der Kernfamilie, da so junge Kinder ja oft noch nicht so weite Kreise ziehen. Hier gibt es jedoch eine nicht so kleine Gruppe von Eltern, auch in durchaus gutsituierten Haushalten, die nicht oder viel zu wenig mit den Kindern in ungeteilte Kommunikation gehen. Mama mit Handy, Kind im KiWa oder Buggy, auf dem Spielplatz usw. Zu Hause vor dem Fernseher, mit Computerspielen, Eltern, die auch nicht sprachlich oder nur rudimentär sprachlich miteinander kommunizieren, Eltern, die saufen, drogenabhängig sind und die Kinder quasi allein lassen, Eltern mit psychischen Problemen, Eltern, die ihre Kinder nicht sehen, sich selbst aber voll verwirklichen möchten usw. Diese Kinder lernen das Sprechen nicht richtig, und das ist nicht aufzuholen. Sie haben für ihr Leben ein sprachliches Defizit. Das wieder aufzuholen, den Nachteil, den sie durch ihre Herkunftsfamilie haben, wieder auszugleichen, bedeutete so einen immensen Aufwand, dass das tatsächlich nicht zu leisten ist, denn das Zeitfenster für den grundlegenden Spracherwerb ist bereits wieder geschlossen, und die Basics fehlen. Für diese Kinder wäre frühe Fremdbetreuung ein Segen, weil sie hier noch sprachliche Vorbilder kennenlernen und verlässliche Kommunikationspartner haben. Selbst wenn die frühe Fremdbetreuung auch personell nicht optimal besetzt ist, ist das immer noch besser als die wortlose Leere zu Hause, ganz zu schweigen von der emotionalen Verwahrlosung mancher Kinder.

Es gibt darum keine Gleichheit: Spracherwerb ist die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Schulbildung. Hat der nicht geklappt, sind die Kinder benachteiligt, noch bevor sie in die Schule kommen. Das ist auch durch Schule nicht auszugleichen. Was Schule leisten muss, ist, diesen Kindern auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunftsperspektive zu begleiten und zu leiten, die anderen Kinder ganz woanders abzuholen, die diese Defizite nicht haben und ebenfalls auf anderem Niveau zu begleiten. So, wie Schule aktuell hier bei uns läuft, kann sie das nicht leisten. Ob jemand ein Einserzeugnis hat oder mit 2-3 abschließt, das interessiert am Ende ohnehin kaum noch. Die NC-Regelung ist schon gelockert worden (siehe Medizinstudium), weil sie sich so nicht bewährt hat und eben keine gleichen Chancen bietet. Entscheidend ist, dass er oder sie seinen bzw. ihren Fähigkeiten ensprechend begleitet und gefördert wird. Keineswegs sollen junge Menschen, die viel Potential haben, ewig auf andere warten müssen. Sie können lernen, dass man zusammenarbeitet und hilft, aber sie dürfen nicht lernen, dass ihre bessere Begabung ein Nachteil ist, weil sie sich langweilen oder immer Hilfslehrer sein müssen - Thema Gruppenarbeit, z.B. Alles in Maßen, und hier müssen auch für die begabteren Menschen Lernumgebungen geschaffen werden, die sie aktivieren und weiterbringen. Das ist, wenn man die Bandbreite sieht, eine Mammutaufgabe, die auch ganz unterschiedliche Lehrpersonen fordert, welche sehr unterschiedliche Qualifikationen und Stärken haben.

Ich habe vor vielen Jahren mal so einen "Loserkurs" in Deutsch gehabt, Klasse 9 Gesamtschule, alles junge Menschen kurz vor dem Ende der Schulzeit, die bis dahin vor allem gelernt haben, dass sie nichts können. Das Curriculum sah, weil man ja durchlässig sein muss, die abenteuerlichsten Dinge vor, die ich mit ihnen machen sollte - Personenbeschreibungen, Erörterungen... Alles unnützer Kram für diese jungen Menschen, nur geeignet, ihnen noch mal mehr zu beweisen, dass sie nichts können. Ich habe mit ihnen dann über ihre Zukunft gesprochen und was sie dafür wohl brauchen können, und dann haben wir vereinbart, dass sie in den ersten vier Wochen ihr Bestes mit dem Curricularen Kram geben, weil wir das im Schnellverfahren durchziehen und dann eine Arbeit dazu schreiben werden, und dann haben wir an ihrem Leben gearbeitet. Was kommt auf sie zu, Anträge, damals noch Wehrdienst, Versicherungen, Krankenkasse, Auto, Lebenshaltungskosten, was man bedenken muss, was sich mit wie viel Geld leisten kann oder auch nicht. Damals war das dort alles noch nicht im Bereich AWL abgedeckt. Sie sind mit einem Ordner aus der Schule gegangen, in dem für alle möglichen Lebensumstände die passenden Formulare, Hinweise und Ansprechstellen verzeichnet waren. Sie konnten Amtsdeutsch einigermaßen lesen und wussten, wie sie sich Hilfe holen, wenn sie mit sowas Probleme haben. Es gab nur einen Schüler, der kein echtes Interesse hatte. Alle anderen waren unendlich dankbar, dass sie ENDLICH etwas machen konnten, das Bezug auf ihre bisher von Angst und Perspektivlosigkeit geprägte Zukunft hatte. Gut, dass keine Eltern geklagt haben. Die Durchlässigkeit war nicht gegeben.

Mir hat diese Erfahrung aber wieder mal gezeigt, dass das dauerhaft permanete Zusammenwerfen von Menschen mit so unterschiedlichen Richtungen und Fähigkeiten, der Zwang, sie in einem aus der Kaiserzeit stammenden und noch nicht entsprechend erfolgreich revolutionierten Schulsystem zusammen zu "unterrichten" falsch ist. Manche brauchen dies, andere das, manche sind Theoretiker, andere sind Praktiker, die einen lernen durchs Tun, die anderen durchs Hören oder durch Kommunikation, die nächsten durchs Visuelle und wieder andere lernen rein kognitiv und brauchen viele Umwege nicht. Sie zu bremsen, weil ja die anderen das andere brauchen, finde ich nicht fair. Schule müsste ein Lebensort sein, wo man reichhaltige Lernangebote bekommt, kein Unterrichtetwerdeort.

Die Diskussion oder diese oder jene Elternhäuser bringt uns nicht weiter. Auch hier gibt es Diversität: Manche Schüler sind auf, wenn sie bis Mittag in der Schule sind, und dann brauchen sie ihr funktionierendes Zuhause. Wenn sie es haben, warum denn nicht? Umso besser kann sich doch Schule um die kümmern, die es nicht haben. Menschen sind nicht gleich, brauchen nicht das Gleiche, und was dem einen nützt, schadet der anderen. Wenn wir die Vielfalt als Bereicherung sehen und lassen können, haben wir fast gewonnen.

 
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