Hilfe / Tips bei Gender Disappointment

Ich hinterlasse dir auch noch meine eigene Geschichte zu dem Thema, weil man aus Erfahrungsberichten ja auch gut was mitnehmen kann.

Ich bin selbstgewählte Single-Mama (oder werde es in ein paar Tagen sein) und bin mit Spendersamen in einer KiWuKlinik schwanger geworden. Ich wollte immer ein Mädchen haben - allerdings nicht wegen der rosa Rüschchen und dem Haare flechten, sondern weil ich der Meinung bin, dass es Mädchen trotz aller Widrigkeiten prinzipiell heute leichter haben als Jungs - vor allem im Kindesalter - und ich in die Vorstellung verliebt war, eine selbstbewusste, emanzipierte Frau heranzuziehen, die dazu in der Lage ist, die Welt zu rocken (who run the World? Girls!). Ich hatte während meiner Schwangerschaft auch immer das Gefühl, dass es ein Mädchen wird und war super happy in der SS. Dann kam der Termin zur Feindiagnostik in der 20. SSW: Mein Kind hatte keinen Herzschlag mehr - von der Größe wurde festgestellt, dass es wohl schon in der 17. SSW gestorben war, kurz nach meiner letzten Vorsorge. Und ich erfuhr in diesem Moment, dass es tatsächlich ein Mädchen gewesen war. Das hat es für mich noch schlimmer gemacht. In diesem Moment. Im Nachhinein frage ich mich, ob es weniger schlimm für mich gewesen wäre, wenn sie ein Junge gewesen wäre. Ich würde die Frage gerne mit "Nein" beantworten, könnte dafür meine Hand aber nicht ins Feuer legen. Ich weiß es einfach nicht.

So, ein halbes Jahr später war ich dann wieder schwanger - und ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es ein Junge werden wird, weil die SS einfach anders war, was Symptome und so angeht. Das war für mich okay gewesen. Es war ja nur ein Gefühl. In der 12. SSW hatte ich dann eine Vorsorge, bei der ein US gemacht und Blut für einen Nipt mit Geschlechtsbestimmung abgenommen wurde. Im US habe ich schon einen verdächtigen "Strich" gesehen und bin aus der Praxis raus mit dem Gedanken "Das wird ein Junge", aber wirklich berührt hat es mich nicht. Erst als ein paar Tage später der Anruf wegen den Ergebnissen des Bluttests kam und sich dort bestätigte, dass es zu 100% ein Junge wird, habe ich ein Gefühl von Enttäuschung gespürt - für eine halbe Stunde oder so. Denn ich habe seeehr schnell realisiert, dass ich wahrscheinlich auch eine tolle Jungsmama sein werde. Dann werde ich eben keine Power-Frau heranziehen, sondern einen selbstbewussten, toleranten jungen Mann, der die Welt hinterfragt und dadurch, dass er nur eine Mama haben wird, es als selbstverständlich empfindet, dass Frauen genauso viel Wert wie Männer sind. Das Geschlecht hat mir ja nicht meinen Erziehungsauftrag und die Möglichkeit, einen reflektierten, ordentlichen Menschen zu erziehen, genommen - ich muss an die Sache nur eben ein bisschen anders herangehen. Und zwar nicht, weil mein Sohn ein Junge sein wird, sondern wegen der gesellschaftlichen Konventionen, die dies mit sich bringt. Da stehen einfach andere Schwerpunkte im Fokus als bei einem Mädchen - so what?

Ich habe Gender Disappointment in ihrer "richtigen" Form also nicht erlebt und glaube auch, dass mir das nicht passiert wäre. Ich bin aber davon überzeugt, dass ich ohne die FG länger gebraucht hätte, um die Enttäuschung über einen Jungen zur Seite zu schieben und zu den Erkenntnissen zu kommen, die ich dann nach gut einer halben Stunde nach dem Outing hatte.
Und dennoch wäre es in Ordnung gewesen, weil man sich von seinen Vorstellungen, Träumen und Wünschen erst einmal verabschieden muss. Das ist tatsächlich ein Trauerprozess. Danach drängt sich die unbändige Liebe aber wieder in den Vordergrund. Die übrigens niemals weg war, sondern vom Gefühl der Enttäuschung zeitweise einfach überlagert wurde.