Selbstbewusstsein stärken - das geht nur indirekt...

Huhu,

diese Rollenspiele sind zwar total gut gemeint von Dir, aber sie konnten nicht funktionieren. Zurückhaltende Kinder können nicht aus ihrer Haut, auch nicht durch Übungen. Das funktioniert vielleicht bei Erwachsenen, weil diese auch gegen ihre eigenen Impulse handeln und daher ungewohntes Verhalten ausprobieren können. Ein Kind im Kiga-Alter kann NICHT gegen seine eigenen Impulse handeln, und es kann über diese auch noch nicht reflektieren. Sein Verhalten passiert ihm einfach. Kluge Entwicklungspsychologen betonen: Kleine Kinder verhalten sich so, wie sie es MÜSSEN.

Meine Tochter war in diesem Alter ähnlich, auch sie konnte sich kaum behaupten, wenn z. B. jemand sich auf dem Spielplatz vordrängte oder sie nie drankommen ließ. Mit dem Schuleintritt aber machen die Kleinen von selbst nochmal einen großen Entwicklungssprung. Sie spüren, dass sich die Dinge jetzt ändern, und ändern sich mit - aus sich selbst heraus. Sie werden vielleicht trotzdem keine kleinen Draufgänger, aber sie werden stärker.

Und: Schüchterne Kinder werden NICHT häufiger von anderen Kindern geärgert, als andere Kinder. Was Kinder zu Opfern macht, sind andere Dinge: ein ungewöhnliches Aussehen, ein altkluges Auftreten, ein auffälliges Verhalten, manchmal auch nichts Nachvollziehbares. Zurückhaltung gehört eher nicht zu den Risiken. Die beiden frechen Jungs im Kiga sind garantiert nicht nur zu Deiner Tochter so, sondern zu vielen Kindern (außer sie kriegen von einem anderen Jungen mal eine geknallt, das mag helfen). Jedenfalls wird Deine Tochter in der Schule sicher keine Probleme haben, nur weil sie zurückhaltend ist. Meine Tochter kam in der Grundschule super zurecht und wurde nie gehänselt, auch wenn sie (bis heute) nicht zu den Robusten, Lautstarken, Kontaktfreudigen gehört.

Das Selbstbewusstsein Deiner Tochter kannst Du trotzdem positiv beeinflussen: Du kannst ihr vermitteln, dass Du sie richtig findest, und zwar genau so, wie sie ist. Fordere sie nicht auf, anders zu sein (z. B. durch Rollenspiele) und sage auch nicht: "Nun wehr' dich doch endlich mal!" Denn sonst lautet Deine Botschaft in Wirklichkeit: So, wie du bist, gefällst du mir nicht ganz. Ich möchte dich anders haben, dann werde ich dich noch mehr lieben. Und das schadet dem Selbstbewusstsein, anstatt es zu stärken.

Ich hab' meiner Tochter schon im Kigaalter vermittelt, dass sie wunderbar ist, so wie sie ist. Wenn Andere sie schüchtern fanden, habe ich gesagt: "Sie ist nicht schüchtern. Sie möchte gern erstmal zuschauen, sie macht dann vielleicht später mit." Ihr diese feste Basis zu geben, half unheimlich: Sie kann mit ihrer Zurückhaltung extrem gut umgehen und sie sogar gegenüber Anderen verteidigen - und sich inzwischen auch gut behaupten. Das ist große innere Stärke, und das spüren auch andere Kinder, weshalb sie respektiert wird und eine sehr nette Gruppe von Freundinnen hat.

Zeig' Deiner Tochter nicht nur, dass du sie genau so möchtest, wie sie ist. Zeige ihr auch, dass du sie gut verstehst. Auch ihre Gefühle von Scheu, Ärger (über die Jungs) usw. Auch wenn Du den verständlichen Impuls hast, dann sofort irgendetwas zu tun und zu machen - lass es bei dem Verstehen. Sprich aber viel mit Deiner Tochter über Gefühle, das hilft ihr, sich selbst gut kennenzulernen, ihre Gefühle wahrzunehmen und eine innere Stärke zu entwickeln.

LG