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Geschrieben von Hase67 am 12.08.2021, 10:49 Uhr

Warum Kinder keine Tyrannen sind

So, ich habe mir den Bericht angesehen, und falls an den geäußerten Vorwürfen etwas dran ist (Medikamentenverordnung ohne Einwilligung der Sorgeberechtigten, schablonenhafte Diagnostik und medikamentöse Therapie in hoher Dosierung ohne eingehende fachärztliche und psychotherapeutische Begleitung und Manipulation des "Systems" aufgrund seiner Machtstellung innerhalb des Psychiatrie- und Psychotherapiebetriebs, auch diese komische Geschichte mit der Untersuchung des Genitalbereichs bei Jungen und die zweifelhaften Gründe dafür) gehört W. tatsächlich verknackt und ihm die Zulassung entzogen. Wenn diese Vorwürfe sich alle als berechtigt herausstellen, habe ich damit auch gar kein Problem, aber das muss im Detail juristisch geprüft werden. Nach so einem Fernsehbericht, der in den ÖR ausgestrahlt wird, ist sein Ruf in der Öffentlichkeit auf jeden Fall schon mal ziemlich beschädigt.

Weil ich selbst aber eher von der Medienseite her komme, gebe ich auch Folgendes in Bezug auf diesen Bericht zu bedenken:

- Es wurden Eltern und Betroffene gezielt ausgewählt (normalerweise erfolgt das über Aufrufe, die das Format in der Lokalpresse oder in Foren wie diesem macht, und weil dann schon die Ausrichtung des Formats klar ist, werden Leute ausgewählt, die negative Erfahrungen mit der Person, über die berichtet wird, gemacht haben oder es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen würden), wir sehen hier also nicht einen Querschnitt der Leute, die W. behandelt.

- Teilweise werden von den Eltern im Bericht falsche Schlüsse aus den gestellten Diagnosen gezogen, oder es wurden Wirkungen des Präparats auf eigene Faust recherchiert (das ist bei psychiatrischen Diagnosen und auch bei der Wirkung von Psychopharmaka sehr schwierig, und auch die von der einen Familie geforderte "körperliche Diagnostik" bei der Gabe des Psychopharmakons muss nicht sinnvoll sein, ein EEG oder ein Blutbild sind zu grob oder einfach die falschen Untersuchungsmethoden, um z. B. eine problematische Sedierung bei Patienten festzustellen, in einem EEG sieht man das nicht wirklich, und ein normales Blutbild gibt nur über Stoffwechsel- und Blutbildungsvorgänge Aufschluss, nicht über eine Beeinflussung der Kognition und des Verhaltens).

- Es wurden verhaltenstherapeutisch arbeitende Kinder- und Jugendpsychiater oder Lehrende, die nicht in der Praxis mit Kindern arbeiten, befragt, die selbst wenig mit der Verordnung von Psychopharmaka zu tun haben, und auch da werden die Interviews natürlich so geschnitten, dass die in das Format passende Aussage steht. Übrigens gibt es auch unter Kinder- und Jugendpsychiatern "Schulen", und die sind sich teilweise spinnefeind und auch manchmal nicht zu schade, gerade über prominente Kollegen abzulästern, warum auch immer.

- Es wurde eine Mitarbeiterin der Jugendhilfe befragt, die scheinbar ein Hühnchen mit dem "System W." zu rupfen hat, aber Angst hat, sich zu zeigen, auch da wissen wir als Außenstehende nicht so genau, was die Hintergründe sind, dafür ist sie andererseits sehr meinungsstark (auch da wissen wir nicht, wie vertrauenswürdig sie wirklich ist).

Was ich sagen will: Man muss aufpassen und genau unterscheiden zwischen der Darstellung in den Medien (auch wenn das ein seriöser Sender und ein seriöses Format ist, das gut recherchiert ist) und der tatsächlichen Sachlage, was Herrn Winterhoff betrifft.

Es liegt mir fern, ihn verteidigen zu wollen, ich finde sein Bestrafungssystem oder "Narzissmusprogramm" à la Supernanny platt und völlig daneben und mag es auch nicht, wenn Fachleute auf dem Weg über den Bestsellermarkt Verkaufsstrategien entwickeln, mit denen sie sehr viel Geld und Publicity abschöpfen, aber dann letztendlich nicht mehr die Zeit haben, um seriös und sorgfältig in ihrem eigentlichen Job zu arbeiten.

Trotzdem sollte man abwarten, was die juristische Untersuchung dieser Fälle ergibt und was an den Vorwürfen im Detail wirklich "dran" ist. Die Medienberichterstattung vertritt die "Laien- und Öffentlichkeitssicht", das ist legitim, und es ist natürlich wichtig, Skandale aufzudecken, wenn diese von einem hermetischen System "vertuscht" werden. Die Medien und die Presse schießen dabei aber auch gern mal über das Ziel hinaus und bauschen Dinge über Gebühr auf oder stellen sie, manchmal auch nur leicht, verschoben dar.

Es ging mir hauptsächlich darum, da, gerade als Eltern, den kritischen und differenzierten Blick darauf nicht zu verlieren. Man muss sich eigentlich bei allem, was man liest oder konsumiert, die Frage nach dem "cui bono" (Wem nützt es) stellen.

 
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